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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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wenigen Male, die sie freiwillig zu ihm in die Sprechstunde gekommen war, hatte sie darauf bestanden, einen ganz bestimmten Song zu hören, bevor sie ging. Es war so etwas wie ein Ritual zwischen ihnen geworden.
    »Kid Rock«, sagte er. Der Anfang war viel zu leise und bei dem Wind und den Nebengeräuschen über das Handy ohnehin nicht zu verstehen. Also tat Marc etwas, was er zuletzt als Teenager getan hatte. Er sang. »Roll on, roll on, rollereoaster.«
    Er sah nach oben und meinte zu sehen, wie Julia die Augen schloss. Dann trat sie einen kleinen Schritt vorwärts.
    « We ‘re one day older and one step closer.«
    Die hysterischen Schreckensrufe hinter ihm wurden lauter. Julia trennten nur noch wenige Zentimeter vom Rand des Sprungbretts. Marc sang weiter.
    »Roll on, roll on, there’s mountains to climb.« Die Zehenspitzen von Julias rechtem Fuß lugten bereits über die Kante. Sie hielt weiterhin die Augen geschlossen und das Handy am Ohr.
    »Roll on, we’re …«
    Marc hörte exakt in der Sekunde auf zu singen, als sie ihr linkes Bein nachziehen wollte. Mitten im Refrain. Ein Zittern ging durch Julias Körper. Sie erstarrte in der Laufbewegung und öffnete erstaunt die Augen. »,.. we’re on borrowed time«, flüsterte sie nach einer langen Pause’. Um das Becken herum war es totenstill geworden.
    Er steckte sein Handy in die Hosentasche, suchte Augenkontakt mit ihr und rief: »Glaubst du, es ist besser? Dort, wo du jetzt hingehst?«
    Der Wind zog an den Beinen seiner Jeans und wirbelte das Laub um seine Füße.
    »Alles ist besser«, schrie Julia zurück. »Alles.« Sie weinte.
    »Echt? Also ich hab mich gerade gefragt, ob die dort auch deinen Song spielen.«
    »Du bist so ein Arsch.« Julias Brüllen war in ein Krächzen übergegangen.
    »Wär doch möglich? Ich meine, was, wenn du das nie wieder hören wirst?«
    Mit diesen Worten drehte Marc sich um und marschierte zum fassungslosen Entsetzen der Beamten in Richtung Beckenausgang.
    »Sind Sie wahnsinnig?«, hörte er jemanden rufen. Ein weiterer wütender Kommentar ging in einem kollektiven Aufschrei der Menge unter.
    Marc zog sich gerade an der Aluminiumleiter hoch, als er hinter sich den Aufprall auf den Kacheln hörte. Erst als er aus dem Becken herausgeklettert war, drehte er sich um.
    Julias Handy lag zerborsten an der Stelle, wo er bis eben noch gestanden hatte.
    »Du bist ein Arsch«, schrie sie zu ihm herunter. »Jetzt hab ich nicht nur Angst vorm Leben, jetzt fürchte ich mich auch noch vor dem Tod!«
    Marc nickte Julia zu, die ihm den Mittelfinger zeigte. Ein tiefes Schluchzen durchschüttelte ihren schmalen Körper, während sie sich auf das Sprungbrett setzte. Zwei Rettungssanitäter waren bereits auf dem Weg zu ihr nach oben. »Und du singst scheiße!«, brüllte sie ihm heulend hinterher.
    Marc musste lächeln und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
    »Der Zweck heiligt die Mittel«, rief er zurück. Er bahnte sich seinen Weg durch das Blitzlichtgewitter der Pressehyänen und versuchte der Frau in dem Trenchcoat auszuweichen, die sich ihm in den Weg stellte. Er erwartete eine Tirade an Vorwürfen und war über den geschäftsmäßigen Blick erstaunt, den sie ihm schenkte.
    »Mein Name ist Leana Schmidt«, sagte sie sachlich wie bei einem Vorstellungsgespräch und reichte ihm die Hand. Das schulterlange, braune Haar trug sie so streng zurückgebunden, dass es so aussah, als ziehe jemand von hinten an ihrem Zopf.
    Marc zögerte kurz und griff sich wieder an seinen Verband im Nacken. »Wollen Sie sich nicht erst einmal um Julia kümmern?«
    Er sah zum Sprungbrett hoch. »Deswegen bin ich nicht hier.« Ihre Blicke trafen sich. »Worum geht es dann?«
    »Um Ihren Bruder. Benjamin ist vorgestern aus der psychiatrischen Klinik entlassen worden.«
4. Kapitel
    Der schwarz glänzende Maybach, der am Ende der schmalen Sackgasse parkte, wirkte in dieser Gegend nicht nur wegen seiner ungewöhnlichen Ausmaße wie ein Fremdkörper. Normalerweise rollten solche Schlachtschiffe nur durch das Regierungsviertel und nicht durch den Bezirk mit der höchsten Kriminalitätsrate der Hauptstadt.
    Marc hatte die unbekannte Frau, die mit ihm über seinen Bruder sprechen wollte, einfach stehen lassen und bemühte sich, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Einerseits, weil er auch ohne Neuigkeiten von Benny bereits genug Sorgen am Hals hatte, andererseits musste er Abstand zwischen sich und diesen trostlosen Ort bringen. Zudem wurde es hier draußen von

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