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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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an eine Rumpelkammer denken, und dennoch schien nichts an diesem Arrangement zufällig. Jeder einzelne Gegenstand, vom Grammophon auf dem Teewagen bis zur Ledercouch, vom Ohrensessel bis zu den Leinenvorhängen, wirkte wie ein Souvenir aus vergangenen Zeiten. So als hätte der Professor Angst, die Erinnerung an eine entscheidende Phase seines Lebens zu verlieren, würde er ein Möbelstück weggeben. Die medizinischen Fachbücher und Zeitschriften, die sich nicht nur in den Regalen und auf dem Schreibtisch, sondern auch auf den Fensterbrettern, dem Fußboden und sogar im Holzkorb neben dem Kamin fanden, wirkten wie ein Bindeglied zwischen all dem Krempel.
    »Setzen Sie sich doch«, bat Haberland, als wäre Marc immer noch ein willkommener Gast. So wie heute Vormittag, als sie ihn bewusstlos auf die bequeme Polstercouch gelegt hatten, in deren Kissen man zu ertrinken drohte. Doch jetzt hätte er sich am liebsten direkt vor das Feuer gesetzt. Ihm war kalt; so kalt wie noch nie zuvor in seinem Leben. »Soll ich noch etwas nachlegen?«, fragte Haberland, als habe er seine Gedanken gelesen.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zum Holzkorb, zog ein Scheit hervor und warf es in den Kamin. Die Flammen schlugen hoch, und Marc spürte ein nahezu unerträgliches Verlangen, die Hände mitten ins Feuer zu strecken, um endlich die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben. »Was ist mit Ihnen passiert?«
    »Wie bitte?« Er benötigte eine Weile, um seinen Blick von dem Kamin abzuwenden und sich wieder auf Haberland zu konzentrieren. Der Professor musterte ihn von oben bis unten.
    »Ihre Verletzungen? Wie ist das geschehen?«
    »Das war ich selbst.«
    Zu Marcs Erstaunen nickte der alte Psychiater nur. »Das habe ich mir bereits gedacht.«
    »Weshalb ?«
    »Weil Sie sich fragen, ob Sie überhaupt existieren.« Die Wahrheit schien Marc regelrecht auf das Sofa zu drücken. Haberland hatte recht. Genau das war sein Problem. Heute Vormittag noch hatte der Professor sich in Andeutungen verloren, doch jetzt wollte Marc es ganz genau wissen. Deshalb saß er schon wieder auf dieser weichen Couch.
    »Sie wollen wissen, ob Sie real sind. Auch aus diesem Grund haben Sie sich selbst Verletzungen zugefügt. Sie wollten sicherstellen, dass Sie noch etwas spüren.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Haberland winkte ab. »Erfahrung. Ich war selbst einmal in einer vergleichbaren Lage wie Sie.« Der Professor sah auf seine Uhr am Handgelenk. Marc war sich nicht sicher, aber er glaubte, mehrere Narben rund um das Armband entdeckt zu haben, die weniger von einem Messer als von einer Brandwunde herzurühren schienen. »Ich praktiziere offiziell nicht mehr, aber mein analytisches Gespür hat mich deshalb noch lange nicht verlassen. Darf ich fragen, was Sie im Augenblick empfinden?«
    »Kälte.«
    »Keine Schmerzen?«
    »Die sind auszuhalten. Ich glaube, der Schock sitzt noch zu tief.«
    »Aber denken Sie nicht, es wäre besser, wenn Sie nicht hier, sondern in einer Notaufnahme wären? Ich habe noch nicht einmal Aspirin im Haus.«
    Marc schüttelte den Kopf. »Ich will keine Tabletten. Ich will nur Gewissheit.«
    Er legte die Pistole auf den Couchtisch, die Mündung auf Haberland gerichtet, der immer noch vor ihm stand. »Beweisen Sie mir, dass es mich wirklich gibt.« Der Professor griff sich an den Hinterkopf und kratzte sich an der etwa bierdeckelgroßen, lichten Stelle in seinem grauen Haupthaar. »Wissen Sie, was man gemeinhin über den Unterschied zwischen Mensch und Tier sagt?« Er deutete auf seinen Hund in dem Körbchen, der im Schlaf unruhig stöhnte. »Es sei das Bewusstsein. Während wir darüber reflektieren, warum es uns gibt, wann wir sterben werden und was nach dem Tode geschieht, verschwendet ein Tier nicht einen Gedanken daran, ob es überhaupt auf der Welt ist.«
    Während er geredet hatte, war Haberland zu seinem Hund gegangen. Er kniete sich hin und nahm liebevoll den wuscheligen Kopf in beide Hände.
    »Tarzan hier kann sich noch nicht einmal im Spiegel erkennen.«
    Marc rieb sich etwas Blut von einer Augenbraue, dann glitt sein Blick zum Fenster. Für einen kurzen Moment hatte er geglaubt, dort draußen ein Licht in der Dunkelheit gesehen zu haben, doch dann war ihm klar geworden, dass das Glas nur das Flackern des Kamins widerspiegelte. Der Regen musste zurückgekommen sein, denn die Scheibe war außen mit winzigen Tropfen überzogen. Nach einer Weile entdeckte er sein eigenes Spiegelbild weit draußen in der Dunkelheit über dem

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