Splitterfasernackt
der ein Kampf war, wie jeder andere Tag auch, seit Ana und Mia Anspruch auf mein Leben erheben.
3
E s ist Dezember, in diesem verrückten Jahr, in dem ich beschlossen habe, ein nacktes Abkommen mit meinem Körper zu unterschreiben. Die Zeit im Passion kommt mir schon ewig weit entfernt vor, obwohl ich doch erst im Oktober dort aufgehört habe.
Ich bin gerade wieder in Berlin gelandet. In den letzten Wochen war ich fast nur in Mellingen, und meine Schweizer Handys sind mittlerweile voll mit den Nummern von Stammgästen. Wenn es so weitergeht, wird bald weder auf den Speicherkarten der Handys noch auf der Plattform meines Gewissens ausreichend Platz für neue Männer sein.
Ich bekomme Angst vor mir selbst, weil ich mich verändere. Ich lasse Menschen in mein Leben und noch viel schlimmer: Ich lasse Männer in meine unmittelbare Nähe.
Die Zeit in Berlin kommt mir vor wie Urlaub. Drei Wochen lang keinen Sex.
Was für ein Gefühl.
Ich gehe Caitlin besuchen, ohne mir auf dem Hin- oder Rückweg eine Packung Rasierklingen und Wundnahtstreifen zu kaufen. Das habe ich vorher nie geschafft. Ich stehe sogar neben ihrem Grabstein, an ihrem Lietzensee, und sage: »Vielleicht musst du noch ein bisschen länger auf mich warten …«
Sie antwortet mir nicht darauf. Tote sind da manchmal etwas eigen. Aber ich glaube, sie wäre zufrieden mit mir. Denn Ana und Mia sind kein guter Ersatz für ein so großes und gütiges Herz wie das von Caitlin.
Am dritten Advent klingelt mein Handy, und ich blicke einen Moment lang überrascht auf das Display, weil es Ladys Namen anzeigt.
»Hey«, sage ich dann hastig, bevor sie auf die Idee kommt, wieder aufzulegen, »du fehlst mir schrecklich … weißt du das?«
»Natürlich«, sagt Lady, »ich weiß so ziemlich alles.«
»Geht es dir gut?«, frage ich weiter.
»Nein«, brummt Lady und bläst mit Sicherheit gerade Rauchkringel in ihren Hörer. »Ich habe eine Tochter, die mich anglotzt, als wäre ich ein gottverdammtes, kinderfressendes Monster in der Gestalt eines durchschnittlich aussehenden Menschen.«
»Oh«, sage ich.
»Ja«, sagt Lady, »und jetzt stell dir mal vor, wie sie dich anstarren wird – immerhin bist du ja diejenige, die als abgemagerter Zombie durch die Gegend stakst und kreischend die Flucht ergreift wegen etwas so Bestialischem wie einem Schokocroissant.«
»Heute früh habe ich gegessen!«, verteidige ich mich.
»Sicher doch«, erwidert Lady gelassen. »Aber dir ist schon klar, dass ein Knäckebrot in Einzelteile zu zerbröseln nichts mit Essen zu tun hat, oder? Und einmal von rechts nach links und anschließend von links nach rechts am Bäcker vorbeilaufen zählt auch nicht.«
»Ich vermisse dich doch nicht so sehr«, sage ich.
»Versuch nicht, mich zu belügen, Schätzchen«, meint Lady ungerührt.
Und dann erzählt sie mir, dass ihre Tochter Hailie sich ein riesengroßes Loch in ihr neues Kleid geschnitten hat, weil dort ein Schmutzfleck gewesen ist, den sie loswerden wollte.
»Keine Sorge«, sage ich, »das machen Kinder gerne.«
»Jaja«, erwidert Lady. »Scheiß auf das Kleid. Ich wollte dir damit nur sagen, dass ich jetzt endlich auch bildlich nachvollziehen kann, warum du deine Seele so herrlich zerlöcherst.«
»Was gibt es denn da zu verstehen?«, will ich wissen und versuche, dem Vergleich zwischen einem schmutzigen Kleid und meiner Seele etwas Vorteilhaftes abzugewinnen. »Vielleicht, dass meine Seele zu blöd ist, um zu kapieren, wozu es Waschmaschinen und Fleckenlösungsmittel gibt?«
»Nein«, meint Lady, »nur, dass das Rausschneiden von Schmutzflecken garantiert schneller, endgültiger und stromsparender ist.«
Eine Weile schweigen wir uns an.
»Man könnte doch auch einfach ein neues Kleid kaufen«, sage ich dann.
»Ja, das könnte man«, erwidert Lady.
Dann lachen wir beide.
»Wann kommst du eigentlich zurück?«, frage ich schließlich.
»Erst nach Weihnachten«, antwortet Lady. »Das ist Hailies dämlicher Vater ihr schuldig: Noch einmal Geschenke für sie einpacken und den Weihnachtsbaum schmücken, bevor er mit seiner platinblonden Tittentussi nach Mallorca fliegt. Und das nächste Mal überlegt er es sich hoffentlich vorher, ob er ein Kind großziehen möchte oder lieber doch nicht. Dieser Vollidiot. Mit dem würde ich für kein Geld der Welt noch mal ficken.«
Wir schweigen uns eine weitere Weile an.
»Ich freue mich darauf, deine Tochter kennenzulernen«, sage ich schließlich, um die Stille zu brechen.
»Ja,
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