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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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hinweg.
    »Nein, ausnahmsweise mal nicht«, erwidere ich und lache.
    Anschließend unterhalten wir uns noch über apathische Männer, hysterische Ehefrauen, Breitbandantibiotika und Mango Smoothies. Dann fährt Row mich nach Hause und hilft mir, meinen Koffer hochzutragen.
    »Melde dich mal, wenn du Lust auf einen Kaffee hast«, sagt er zum Abschied. »Oder falls irgendetwas ist – ich bin immer zu erreichen.«
    Ich nicke, bedanke mich für alles und umarme Row flüchtig. Dann betrete ich endlich meine Wohnung und schließe mit zittrigen Händen die Tür hinter mir. Ich lasse den Koffer einfach achtlos im Flur stehen, werfe meine Handtasche in eine Ecke, die Jacke darüber und setze mich in der dunklen Küche an den Tisch. Dort zünde ich mir eine schiefe Kerze an und lausche einen Moment der wohlbekannten Stille. Die Vertrautheit ist ein Segen, wenn man so wenig geweiht ist wie ich.
    Die verbogene Kerze fängt an zu flackern, ich puste sie aus, stehe auf und lege mich ins Bett. Mein Herz schlägt unruhig, ich schmecke Blut, aber meine Bettwäsche fühlt sich kühl und zart an.
    Ich bin zu Hause. Endlich.
    Ich schlafe augenblicklich ein.
    Und dann träume ich davon, wie mein Leben sein wird, wenn Tage wie diese für immer vorbei sind.

7
    M anchmal besuche ich meine Eltern. Ich spurte in einem Weltrekordtempo durch das gefährliche Horrortreppenhaus, drei Stockwerke hinauf bis zu ihrer Wohnung, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Es ist interessant, was für Geräusche ein Herz von sich geben kann, wenn man mit einem total geschädigten und unterernährten Körper versucht, einen Wettlauf gegen die Vergangenheit zu gewinnen. Meine Eltern halten mich wahrscheinlich für komplett durchgeknallt, weil ich jedes Mal wie ein Walross schnaufend bei ihnen auf der Matte stehe und mich am Türrahmen festkralle, um nicht umzukippen.
    Und wenn ich mich dann am Abend wieder auf den Heimweg mache, fragt mein Vater mich immer gerne, ob ich vielleicht so nett sein könnte, den Müll mit hinunterzunehmen.
    Ich hasse den Keller.
    Vor allem, wenn es dunkel ist. Und außerdem kann man mit einer schweren Mülltüte in der Hand nicht schnell genug davonsprinten, und die Wahrscheinlichkeit, nicht ermordet zu werden, sinkt mit jedem Schritt in Richtung Keller um mindestens fünf Prozent.
    Aber ich würde niemals nein sagen, wenn mein Vater mich um einen Gefallen bittet. Ich würde jeden Tag zehnmal den Müll hinuntertragen, wenn er dafür nur einmal im Jahr »Es ist schön, dass es dich gibt, Lilly« oder etwas Ähnliches sagen könnte.
    Einmal hat meine Mutter zu meinem Vater gemeint: »Du solltest deine Tochter nicht um so etwas bitten – Frauen fühlen sich nicht wohl, wenn sie abends noch in den Keller gehen müssen.«
    »Ach, Quatsch!«, hat mein Vater geantwortet. »Lilly macht das doch nichts aus. Sie hat keine Angst.«
    Ich habe keine Angst.
    Ich. Habe. Keine. Angst.
    Verdammt.
    Vier Worte, die nicht mir gehören.
    Und dabei würde ich sie doch so gerne besitzen.
    Aber ich hätte meinem Vater niemals die Wahrheit gesagt. Ich hätte es nie gewagt, vor Panik loszubrüllen. Stattdessen bringe ich jedes Mal den Müll runter. Schritt für Schritt. Ohne einfach davonzulaufen.
    Das Licht im Keller schalte ich nicht ein, dafür bin ich zu klug. Denn wenn dort ein böser Mann auf mich wartet, dann will ich ihn wenigstens nicht ansehen müssen. Ich will kein Messer aufblitzen sehen, keine Hand, die nach mir greift.
    Denn was man nicht erkennt, ist weniger wirklich.
    Und was man nicht anerkennt, gehört weniger dazu.

8
    F uck!«, hat Lady zu mir gesagt, im Sommer des letzten Jahres, als sie Chase zum ersten Mal getroffen hat. »Dein Chase ist ja echt ein Mann zum Vögeln und noch dazu ein Mann zum Konversation-Führen. Ich hatte eigentlich gedacht, Schauspieler lassen sich ihr Hirn rausblasen, damit da mehr Platz fürs Texte-Auswendiglernen ist, aber dein Chase hat Sätze rausgehauen, da habe ich doch glatt vergessen, was ich selbst sagen wollte.«
    »Er ist nicht
mein
Chase«, habe ich erwidert und angefangen, das Chaos zu beseitigen, das Lady jedes Mal hinterlässt, wenn sie mein Badezimmer benutzt, um sich bereit für eine
heiße Nacht mit ordentlich Schwanz
zu machen.
    »Süße«, hat Lady da gesagt, und ihre Stimme war so wissend und ihr Lippenstift so dunkelrot, dass sie mir Angst gemacht hat, »und ob das dein Chase ist. Auch wenn er gerade fünfzehn nackte Models auf, unter und neben sich liegen hat – er wird

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