Splitterfasernackt
Koalabärkeksen, bekomme einen Heulkrampf und schlafe auf dem Fußboden zusammengerollt ein, weil ich zu schlapp bin, um meinen Körper ins Bett zu verfrachten.
Meine Gedanken.
Sie zerbrechen an meiner sanftmütig tobenden Verfassung.
Und ich weiß: Wenn ich mit jedem Mann auf der Welt freiwillig ins Bett gehe, dann kann ich nie wieder vergewaltigt werden.
Was für eine Erkenntnis.
10
N ach meiner Rückkehr aus der Schweiz sitze ich neben Row im Café Miro und stochere in einem Salat rum. Ich freue mich jedes Mal mehr, ihn wiederzusehen, denn irgendwo zwischen den täglichen Telefonaten und den vielen Treffen habe ich ihn in mein Herz geschlossen.
In mein kaltes, zerficktes Herz.
»Wenn du Lust hast, kannst du jetzt übrigens auch in Berlin Escort machen« erzählt mir Row zwischen ein paar Happen Salat. »Seit letzter Woche ist die neue Seite online. Ich habe nur vier Frauen, mit dir wären es dann also fünf, und dabei soll es auch bleiben. Ich fahre euch persönlich zu den Terminen und hole euch anschließend wieder ab. Die Preise sind natürlich gehobene Klasse, und bekloppte Kunden werden von mir, soweit es geht, schon am Telefon aussortiert.«
»Klar bin ich dabei«, sage ich. »Du kannst ja mal meine Fotos mit hochschalten, und wegen Terminen muss ich dann halt sehen, ob es zeitlich gerade passt oder nicht. Ich arbeite doch jetzt wieder mit den Kindern, tagsüber würde es also nicht gehen, und abends nicht so spät.«
»Kein Problem«, meint Row und schiebt mir ein paar von seinen Kartoffeln auf meinen Teller, »aber ich mache dir übrigens nur Termine mit Männern, die vorher mit dir essen gehen, damit du nicht verhungerst!«
Und so beginnt ein neuer Abschnitt. Schon wieder. Ich fahre von Termin zu Termin, denke dabei an Chase, telefoniere mit ihm, treffe mich mit ihm, flüchte am Abend, weil ich nicht bei ihm schlafen möchte, habe weitere Termine und Termine über Termine. Nach ein paar Wochen wird es mir zu viel, und ich rufe Row an, um ihn zu fragen, ob es auch okay ist, wenn ich nur ein, zwei Termine im Monat mache und er dafür keine extra Werbung für mich schaltet, sondern mich einfach nur auf der Agenturwebsite behält.
»Ach, Lilly«, sagt Row, »natürlich ist das okay. Die einzige Bedingung ist, dass wir uns trotzdem mindestens einmal in der Woche sehen und ins Café Miro gehen, damit ich mich davon überzeugen kann, dass du nicht noch mehr abnimmst.«
»Wir sind Freunde, oder?«, frage ich da. »Ich meine, du bist einer der wenigen Menschen in diesem Milieu, denen ich vertraue. Wenn du merkst, dass eine Frau zugedröhnt ist oder Schmerzen hat, dann schickst du sie nach Hause und nicht zu einem Termin. Das ist nicht selbstverständlich – ich habe genug vom Gegenteil gesehen, um das zu wissen. Und du übst mit mir auf Parkplätzen Autofahren, damit ich demnächst meinen Führerschein machen kann, obwohl du gesagt hast, dass ich lenke wie ein betrunkener Schleudergnom. Also sind wir Freunde, nicht wahr?«
»Ja«, antwortet Row und lacht. »Und wenn du eines Tages von einem Termin kommst und zu mir sagst:
So! Das war der letzte! Ich kündige! Ruf mich ja nie wieder an und sag: Ich habe einen Termin für Felia!,
dann freue ich mich für dich. Denn weißt du, Lilly, du wirst eins von diesen Mädchen sein, die aufhören, bevor es zu spät ist. Du wirst nicht für immer hier sein – ich habe auch genug vom Gegenteil gesehen, um das zu wissen.«
Vorerst aber wandere ich durch die Nobelhotels von Berlin oder verabrede mich mit einem meiner Kunden zum Abendessen in einem Sternerestaurant. Obwohl ich selten arbeite, wird Felia ein immer größerer Teil von mir, genau wie Ana und Mia. Ihre Präsenz ist erschreckend, und ihre makellose Maske mein größter Alptraum. Die Hingabe, mit der ich ihre Rolle spiele, lässt mich zuweilen in ihr verlorengehen.
Und als mein Postbote mir eines Tages ein Paket liefert, überlege ich, während ich das Übergabeformular unterschreibe, doch tatsächlich, ob er wohl einen großen oder einen kleinen Schwanz hat. Und ob er gut küssen kann, ob sich seine Hände grob oder sanft anfühlen. Ob er schnell kommt oder ob er lange braucht.
Es gibt ein Wort dafür: Berufskrankheit.
Und es gibt keine Heilung, solange man nicht kündigt.
Man verlernt sehr schnell, ein anständiges Mädchen zu sein, eine bekleidete Frau.
Und es gibt auch dafür ein Wort: Berufsrisiko.
Aber was riskiere ich nicht alles, um jemand anders zu sein.
11
F rühlingswetter,
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