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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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U-Bahn dorthin fahren, denn neuerdings äußert sich meine Geistesgestörtheit durch panische Angst vor fremden Menschen. Und davon gibt es bekanntlich viele in öffentlichen Verkehrsmitteln. Außerdem bin ich gerne alleine, denn wenn man alleine ist, muss man niemandem erklären, warum man Blut hustet oder zerkratzte Arme hat.
    So bin ich also jeden Morgen die Erste, die aufsteht, und immer die Letzte, die aus der Schule zurückkehrt. Tag für Tag strampele ich mich ab, und wenn ich dann schließlich am späten Nachmittag wieder im Jugendheim ankomme, ist der Tag schon so gut wie vorbei, und ich erledige noch schnell meine Aufgaben: Putzen, Einkaufen, Kochen oder was gerade ansteht.
    Im Februar haben wir zum ersten Mal seit Jahren Schneeberge in Berlin. Dort, wo früher einmal der Grunewald war, befindet sich plötzlich eine überwältigende Schneewildnis, und irgendwo mittendrin, unter all dem Weiß, befindet sich meine Schule. Also schlittere ich mit meinem Fahrrad über den Schnee und durch den Matsch auf den Straßen. Und wenn ich in der Schule angekommen bin, sind meine blauen Hände eiskalt, und ich verbringe die erste Stunde damit, sie warm zu reiben.
    Aber nach jedem noch so kalten Winter kommt irgendwann wieder ein Frühling – und so schmilzt der verdammte Schnee eines Tages endlich von den Straßen.
     
    Das Heimleben hat mich erschöpft, die Gartenarbeit, für die ich zuständig bin, ist ein Kampf, wenn man nur noch aus Haut und Knochen besteht und sich trotzdem nicht dazu durchringen kann, Freundschaft zu schließen mit der Kohlroulade und dem Hefekuchen oder wenigstens mit dem Salat.
    Wie schön ein Mädchen baumeln kann, an diesem selbst geformten Hungerhaken. Eine Windspielfigur, verheddert im zeitlosen Sturm.
    Ich taumele, durch die jenseitige Abrisswand.
    Meine Seele. Mein Körper.
    Was für eine gespaltene Beziehung.
    Was für eine befremdliche Relation.
     
    Es ist noch immer Frühling, als mich meine Eltern schließlich fragen, ob ich nicht wieder zurück nach Hause kommen möchte.
    Nach Hause, denke ich, was ist das?
    Aber ich sage: »Ja.«
    Weil meine Beine weh tun vom vielen Fahrradfahren und weil ich mich so sehr sehne nach meinem blauen Sofa, auf dessen Unterseite ich mit Wachsmalstiften Bilder gemalt habe, die das von mir erzählen, was keiner versteht.
    Also gehe ich ins Jugendamt – dritter Stock, rechter Flur, sechste Tür links, Herr Steinbeck. Da hat sich nichts geändert. Ich rattere ein paar Lügen, die ich vorher mit meiner Mitbewohnerin Keila geprobt habe, herunter, lächele siebenmal schief, lache dreimal zu laut, nicke außerordentlich brav, darf meine Koffer packen und ziehe wieder zurück zu meinen Eltern.
     
    Home sweet home.
Hat irgendwer ernsthaft geglaubt, das könnte gutgehen? Hat irgendwer gedacht, das Leben sei ein Wohnzimmer mit tragenden Säulen?
    Nein, wohl eher nicht. Glaube funktioniert anders.
    Und ich. Ich bin eine Unbekannte.
    Ohne Gleichung.
    Einige Monate später ist es so weit. Es kommt der Tag, an dem eine Synapse in meinem Kopf durchbrennt und der Teil, der Zuversicht, Zukunft und Überlebenswillen beinhaltet, von dem Rest meines Daseins abgeschottet wird.
    »Cool«, denke ich. »Ich bin frei.«
    Also futtere ich vergnüglich eine Packung Aspirin, die restlichen neunundvierzig Antidepressionspillen (die immer noch in meinem Zimmer herumliegen), eine halbe Packung irgendwas, das ich bei meiner Mutter in der Kommode gefunden habe, und dazu vier Scheiben Toast, damit ich mich nicht übergeben muss. Dann gehe ich schlafen. Nicht ohne mich vorher gelassen von meinem Bücherregal, meinem Stoffdelphin und meiner Avocado-Pflanze zu verabschieden. Als letzte Worte sage ich zu mir selbst: »Träum schön … Für immer. Jetzt haben wir es endlich geschafft.«
    Meine Hände sind kühl, ich schlinge die Arme fest um meinen Körper, kuschele mich ganz tief in die Decke und werde ohnmächtig.
    Schlafen.
    Schlafen.
    Meine Träume sind leer und staubig.
    Es ist ein seltsamer Schmerz, ein blasser und trüber.
    Dann wache ich schweißgebadet auf, mir ist speiübel, ich habe grässliche Bauchkrämpfe, mein Zimmer ist merkwürdig grün gefleckt, und mein Herz rattert wie verrückt. Ich zittere. Meine Arme sind taub, ich spüre mein rechtes Bein kaum. Ist das das Ende?
    Ich flüchte ins Bad, stolpernd, gegen Wände stoßend.
    Dann übergebe ich mich.
    »Scheiß Toastbrot. Hat überhaupt nichts genützt«, denke ich wütend. Dabei hatte ich den Tipp aus einem wirklich

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