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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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das passieren?«, fragt das kleine Mädchen.
    Es sagt kein Wort dabei.
    Seine Lippen bleiben stumm und unbeweglich.
    Ich starre lautlos zurück und habe keine Antwort. Denn die Welt dreht sich auf einmal anders als sonst. Die Zeit in meinem Kopf läuft für den Bruchteil einiger Sekunden rückwärts: Ich stehe wieder draußen auf der Straße, ich blicke mich um, und dann wird mir klar, noch bevor er seine Hand ausstreckt, um meinen Hals zu umgreifen, dass er sein Fahrrad nicht angeschlossen hat, dass er es einfach nur so an den Baum gestellt hat. Denn er musste sich ja beeilen – er wollte vor mir an der Tür sein, um mich sehen zu lassen, dass er irgendwo klingelt, oder zumindest so tut, damit ich ihn sorglos mit hineinlasse.
    »Was hast du nur getan?«, fragt das kleine Mädchen erneut.
    Wir schweigen uns an.
    »Können wir weg von hier?«, fragt das Mädchen schließlich und fügt wispernd hinzu: »Bitte.«
    Es verschwindet in dem Moment, in dem ich die Hand des Mannes in meinem Nacken spüre, sie ist rauh, sie ist grob, sie reißt mich herum. Und dann steht er direkt vor mir, er zerrt an meinen Haaren, zerquetscht meinen Hals und hält mir grinsend den Mund zu. Sein Lächeln ist nicht mehr nett und warm. Es ist kalt und böse, und er flüstert mir etwas ins Ohr. Ich weiß noch genau, was er gesagt hat. Jedes einzelne Wort. Aber ich rede mir ein, ich hätte es längst vergessen. Meine Knie geben nach wie Wackelpudding, meine Arme zittern schwach und nutzlos vor sich hin, ich versuche ihn wegzuschieben, ich versuche ihn zu treten, ich beiße ihn, so fest ich kann, in die Hand – aber da lacht er nur leise und schlägt mir ins Gesicht.
    »Das würde ich an deiner Stelle nicht tun!«, raunt er mir zu. »Du willst mich doch nicht böse machen, mein Schätzchen, nicht wahr?«
    Ich antworte nicht darauf. Denn wie gibt man die richtige Antwort auf eine falsche Frage? Das wäre wie Stunden zählen, wenn man weiß, dass man nur noch sieben Sekunden hat.
    »Ich habe dich etwas gefragt, du kleines Miststück!«, höre ich seine gefährliche Stimme ganz dicht an meinem Ohr. »Also beweg deinen süßen Kopf, damit ich sehen kann, dass du mich verstanden hast!«
    Ich nicke. Mein Kopf fühlt sich schwer wie Blei an. Der Mann packt mich fester, presst mir einen Kuss auf den Mund, grinst mich an und flüstert: »So gefällt es mir, mein Schätzchen!«
    Seitdem weiß ich, dass alle Männer, die mich »mein Schätzchen« nennen, keinen einzigen Gedanken an ihr unangeschlossenes Fahrrad verschwenden würden, wenn sie mich dafür nur einmal alleine im Treppenhaus erwischen könnten. Und seitdem weiß ich auch, dass alle Männer, die eine Hand nach mir ausstrecken, um mich zu berühren, die gleiche gebrandmarkte Haut verletzen.
    Der Mann streicht grob über mein Gesicht, er berührt mit seinen Fingerspitzen meine Lippen und zerrt mich dann die Treppen wieder hinunter bis in den Keller. Ich öffne meinen Mund, um zu schreien, ich weiß, irgendwer ist bestimmt im Haus, ich weiß, jemand wird mich hören – der Mann wird Angst bekommen und von mir ablassen, und ich werde gerettet.
    So einfach wäre mein Glück.
    Aber alles, was ich hervorbringe, ist ein Wimmern, ein Röcheln, und dann höre ich mich wispern: »Bitte nicht. Nein. Bitte. Bitte nicht.«
    Meine Stimme ist mir fremd. Ich starre mich an. Wie kann ich mich nur so erniedrigen? Wie kann ich so hilflos sein? Ich hasse mich dafür, dass ich ihn anflehe. Ich hasse mich, weil ich nicht mehr zustande bringe, als ein paar nutzlose Wörter zu flüstern, für die ich mich selbst nicht hätte gehen lassen, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre.
    Vor diesen Minuten hatte ich immer gedacht, ich hätte einen relativ großen Wortschatz, einen, mit dem man etwas anfangen kann, wenn es darum geht, sich richtig auszudrücken. Aber was ist schon relativ, wenn man vergewaltigt wird. Und wer interessiert sich dann noch dafür, dass »Bitte nicht« kein sonderlich ausdrucksstarker Satz ist.
    Wortgewalt ist nichts.
    Gegen nackte Sexgewalt.
     
    »Bitte nicht«, das ist das Letzte, was ich von mir höre, und irgendwie bin ich erleichtert, als ich den Mund schließe und endlich still bin. Danach höre ich nur noch seine Stimme. Er beschimpft mich, er zieht mich ganz nah an sich und raunt mir ins Ohr: »Schätzchen, mein kleines Schätzchen.«
    Ich versuche die Arme schützend um meinen Körper zu schlingen, aber er lacht mich nur aus, wirft mich umher, als wäre ich eine Stoffpuppe, dann

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