Splitterfasernackt
befinde, umgeben von Frauen, die für Geld eine Menge verrückter Dinge mit sich geschehen lassen, und dass ich mich ausgerechnet an einem Ort wie diesem geborgen fühle. Ich wusste zwar schon immer, dass irgendetwas in meinem Gehirn absolut nicht richtig funktioniert, aber ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages in ein Bordell spazieren würde.
Eriko starrt mir weder in den Ausschnitt noch zwischen die Beine; er behandelt mich mit einem selbstverständlichen Respekt, der mich durcheinanderbringt. Er fragt mich ein paar Sachen, typische Fragen, die man bei einem Bewerbungsgespräch gestellt bekommt, und ich erzähle ihm einen Teil meiner Geschichte.
Er hört mir zu. Als hätte ich Sprachverstand.
Dabei bin ich nur eine Ansammlung von kaputten Schweigeminuten.
Und während ich rede und rede, frage ich mich, ob ich vielleicht schon früher zu einem Zuhälter hätte gehen sollen. Nur so. Um mir den Gang zum Therapeuten zu sparen.
»Es klingt schön, was du da erzählst«, sagt Eriko, als mir nichts mehr einfällt, was er noch über mich wissen sollte. »Mit Kindern arbeiten ist bestimmt etwas Tolles. Und Schreiben – wow, das bewundere ich, dafür hätte ich gar nicht die Geduld.«
Eine Weile sieht er mich nachdenklich an.
»Vielleicht ist das hier gar nichts für dich«, sagt er schließlich. »Weißt du, wenn du doch nicht möchtest, wenn du dir nicht sicher bist, dann gibt es bestimmt auch noch andere Wege, mit denen du Geld verdienen kannst.«
»Ja, ich weiß«, antworte ich, »aber ich möchte es probieren.«
Ich falte meine Hände zwischen den nackten Oberschenkeln.
»Ich kann sehr gut auf mich aufpassen«, lüge ich.
»Okay«, sagt Eriko, »es ist deine Entscheidung. Du weißt aber, dass du jederzeit wieder aufhören kannst.«
Ich nicke.
Ich schüttele mir die Seele aus dem Kopf.
Denn mein Gewissen ist rein. Zufällig nicht vorhanden.
Eriko erzählt mir alles, was ich noch so über meinen neuen Job wissen muss: Wenn ein Kunde mich ausgewählt hat, schnappe ich mir ein Handtuch, ein Bettlaken und eine Handvoll Kondome, dann gehe ich zu dem Kunden ins Zimmer, spreche den Preis und die Extrawünsche ab, lasse mich bezahlen, gebe das Geld bei der Hausdame ab und gehe anschließend zurück zu meinem Kunden.
»Du musst niemals etwas machen, das du nicht magst«, sagt Eriko mit ernster Miene. »Egal, ob in deinem Internetprofil steht, dass du französisch total anbietest oder sonst was – wenn du nicht magst, dann magst du nicht. Ende. Keine Diskussionen. Du gehst mit jedem Kunden nur so weit, wie du gehen möchtest. Und wenn du dich mit etwas nicht wohl fühlst, dann lass es einfach sein. Du bist hier zu Hause, die Kunden sind deine Gäste, und du machst die Regeln. Wenn du irgendetwas brauchst, dann bin ich immer für dich da, vierundzwanzig Stunden. Du kannst mich jederzeit anrufen, egal, was für ein Problem es gibt, ob du Aspirin brauchst oder ob dir jemand Angst macht, ob du Fragen hast und auch wenn du Geld brauchst. Wenn ich sehe, dass du zuverlässig bist und pünktlich kommst, ist das alles kein Problem.«
Eriko lächelt mich an. Seine Augen sind freundlich. Ich habe nicht das Gefühl, nur in Unterwäsche vor ihm zu sitzen, ich habe eher das Gefühl, trotz allem etwas wert zu sein. Das verwirrt mich. Mich und meine Welt voller selbstgeschriebener Horrorszenarien. Vielleicht sollte ich aufspringen, meine Kleidungsstücke an mich reißen und hinausstürzen an die warme Sonne, wo ich hingehöre. Denn
Nutte
im Lebenslauf sieht auch durchgestrichen noch ziemlich scheiße aus. Aber wer weiß – wenn man es direkt hinter
Vergewaltigung
auflistet, fällt es eventuell gar nicht so sehr auf.
Ich hoffe, die Männer hier werden gut zu mir sein. Vielleicht kann ich das dann auch.
Irgendwann.
Gut zu mir sein.
Nachdenklich blicke ich mich in dem großen Begrüßungszimmer um, sehe hinauf zu dem riesigen Kronleuchter und bin dabei so unwissend, wie man nur sein kann in diesem Milieu. Aber ich werde sie noch kennenlernen, die verschleppten und misshandelten Frauen, die naiven, ausgebeuteten Mädchen, die Zuhälter, die so lange nett sind, bis man mit dem Job aufhören möchte, die guten Freier, die schlechten Freier, die schrecklichen Freier. Für den Augenblick aber habe ich noch keine Ahnung, wofür NS p/a steht und was ein Kunde von mir will, der fragt, ob ich Lust auf »ein bisschen feiern« hätte.
»Okay«, sagt Eriko abschließend, »ich denke, das war es erst mal. Wie gesagt, wenn
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