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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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einige Erdbeeren hineingibt. Für mich bereitet er auch ein Schälchen zu – ohne Sekt, aber dafür mit Sahne.
    »Danke«, sage ich.
    »Keine Ursache«, erwidert Thomas, und wir stoßen an. »Auf dich, Felia, schön, dass du hier bist! Ich hoffe, du magst die Erdbeeren, ich habe sie extra gekauft, weil Dasha mir verraten hat, dass du sie gerne magst. Und da sie mir auch gleich noch dein Lieblingsparfum verraten hat, steht da ein kleines Päckchen für dich auf dem Tisch, das du nachher nicht vergessen darfst …«
    »Das ist aber eine liebe Überraschung«, sage ich und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Gern geschehen«, erwidert Thomas und schiebt mir die Schale mit den Erdbeeren hin. »Aber die beste Überraschung an diesem Abend bist du.«
    Dann lächelt er mich an und hält mir eine Erdbeere an die Lippen.
    Ich beiße hinein. Und warte auf Ana.
    Ich warte auf ihre zischende Stimme, auf ihre kalte Hand, die mich fortreißt.
    Aber alles ist ganz still.
    Ich verharre und bin verwundert. Es ist fremd, auf einem Sofa zu sitzen ohne Ana und Mia. Einen Moment lang fühle ich mich überrumpelt und verloren, aber dann esse ich einfach ein paar von den Erdbeeren und trinke etwas Wasser dazu, als wäre ich ein zurechnungsfähiger Mensch.
    Thomas ist noch viel netter, als ich ihn mir nach den Erzählungen der anderen Mädchen vorgestellt habe. Wir unterhalten uns lange, und er erzählt mir von seinem letzten Urlaub in Australien, dann zeigt er mir Bilder von seinen zwei kleinen schwarzen Katern und lässt mich anschließend noch in seinem riesigen Bücherregal herumstöbern.
    »Nimm dir ruhig ein paar Bücher mit, wenn sie dir gefallen«, sagt Thomas. »Ich habe so viele, und die meisten lese ich sowieso kein zweites Mal.«
    Er zieht einige Bücher aus den Fächern und drückt sie mir in die Hand.
    »Die musst du unbedingt lesen«, meint er. »Ich gebe dir nachher eine Tüte, damit du sie besser tragen kannst.«
    »Danke«, sage ich. »Vielen Dank.«
    »Nicht dafür«, antwortet Thomas.
    Dann setzen wir uns wieder auf das Sofa, und ich erzähle Thomas ein paar Wahrheiten von mir, sogar von dem Kinderheim, das gleich um die Ecke liegt. Er hört aufmerksam zu, und es ist ein schönes Gefühl, in die Kissen gekuschelt dazusitzen, ein paar Erdbeeren zu essen und sich mit ihm zu unterhalten.
    »Bedien dich nur«, sagt er zwischendurch und schiebt mir die Schale mit den Erdbeeren hin.
    Ana schweigt weiter.
    Also nehme ich mir noch ein paar Erdbeeren.
    »Hast du vielleicht Lust, mit mir in die Badewanne zu gehen?«, fragt Thomas schließlich.
    »Ja, natürlich«, sage ich.
    Doch mein Herz fängt an zu poltern. Denn das ist eine von diesen Lügen, die ich erzähle, weil sie zu meinem Schauspiel gehört. Weil ich Felia heiße. Felia. In Wahrheit schäme ich mich viel zu sehr dafür, einen Körper zu besitzen, einen so geschundenen, verletzlichen, dass schon allein der Gedanke daran, ihn in grellem Badezimmerlicht entblößen zu müssen, an blanken Horror grenzt.
    Ein Examen in Selbstverachtung könnte ich, ohne einen Finger zu rühren, ohne mich dabei auch nur ein einziges Mal ansehen zu müssen, mit Bravour bestehen. Es ist fast schon Kunst, seinen eigenen Körper so weit weg von sich selbst in ein hässliches Licht zu stellen, um ihn anschließend mit Nichtachtung zu betrachten.
    Doch Thomas führt mich in sein Badezimmer, und da verschwindet die Angst so schnell, wie sie gekommen ist. Denn das ganze Bad ist in schwaches, romantisches Licht getaucht, eine einzelne Bodenlampe wirft orangegelbes Licht auf den steingefliesten Boden, und eine Kerze steht auf der Spiegelablage. Die Badewanne ist groß und gefüllt mit einem duftenden und dampfenden Schaumbad.
    Ich drehe mich zu Thomas um.
    »Es ist so schön hier«, sage ich überrascht. »Und du hast ja alles schon vorbereitet.«
    Da legt Thomas sanft einen Arm um meine Taille, streicht zärtlich über meinen Körper und beginnt vorsichtig, mich zu küssen. Es ist ein kleines Stück vom unbegrenzten Raum.
    Und wenn das Leben eine Aneinanderreihung von Glückseligkeiten wäre, dann würde es wahrscheinlich so beginnen, und keiner würde daran zweifeln. Aber kein noch so schöner Moment wäre von Wert, wenn er umgeben wäre von nichts anderem als seinesgleichen. Denn wir wissen nie, wie leise es ist, bis jemand anfängt zu schreien.
    Stille. Existiert nur im lauten Raum.
     
    Thomas öffnet den Verschluss von meinem BH so sorgsam, als wäre ich ein kostbares Wesen.

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