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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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lange in einem Bordell, und meine Seele ist nicht zerrissener als zuvor. Der Sex bringt mich nicht um – im Gegenteil, mein Herz schlägt weiter und lauter, und ich verstehe die Welt nicht mehr.
    In meinem Handy sind nur noch die Nummern von meinem Zuhälter, den Passion-Mädchen, drei anderen Freundinnen, Chase, Lady, Caitlins Schwester, meinen Eltern und meiner Mailbox gespeichert.
    Die Koch- und Backkurse mit den Kindern habe ich vorerst auf Eis gelegt, denn ich kann keine Väter mehr ansehen, ohne mich zu fragen, in welches Bordell sie gehen, um ihre Frauen zu betrügen, während ich mit ihren Kindern Schokoladenkuchen backe oder Luftballonschweine bastele. Außerdem bin ich mittlerweile körperlich viel zu schwach, um diese Verantwortung zu tragen. Es beunruhigt mich, wie wenig mir die Kinder fehlen, ich hatte gedacht, dass ich etwas gefunden hätte, das mir wichtig ist im Leben, und nun sind sie von heute auf morgen aus meiner Zukunft verschwunden, und ich habe das Gefühl, die Zeit mit ihnen läge schon Monate zurück.
    Lebensabschnitte.
    Sie können tief einschneiden.
    Und eine einzige Entscheidung, ein einziger Schritt durch eine unbekannte Tür kann alles verändern.

12
    M ein Körper ist schwach. Wie unter Drogen stolpere ich durch die Zimmer meiner Wohnung, die immer so sauber und ordentlich aussieht, als würde sie gleich für
Schöner Wohnen
fotografiert werden. Meine Hände sind eiskalt und blau angelaufen, obwohl ich den dicksten Pullover, den ich in meinem Schrank finden konnte, übergezogen habe und die Herbstsonne durch mein Fenster scheint.
    Mein Herz rast noch immer, von den vielen Treppenstufen, die ich gerade heraufgestiegen bin, meine Zehenspitzen sind so verfroren, dass ich sie gar nicht mehr spüren kann. Ich habe keine Ahnung, seit wie vielen Tagen ich nichts Vernünftiges gegessen habe, ich weiß nur, dass meine beste Freundin Ana heißt. Meine Gedanken sind schwindlig, hin und wieder rast die Decke auf mich zu, oder alles wird so gestochen scharf, dass meine Augen erschrocken zusammenzucken.
    Ich mache das Licht in meinem Wohnzimmer an, und auf einmal sind alle Farben weg. Ich sehe sie mit Sehnsucht verschwinden, und verliere mich in Schwarz und Grau.
    Es ist schwer, die Augenlider offen zu halten. Es ist ein sinnloser Kampf gegen einen wehrlosen Körper. Meine Beine fangen an zu zittern, und ich kann mich nicht mehr tragen. Da weiche ich langsam an die Zimmerwand zurück und lasse mich herabgleiten, ganz sanft und vorsichtig, damit ich nicht so tief fallen muss.
    Auf dem Fußboden liegend überlege ich, ob es klug wäre, etwas zu essen und es anschließend wieder auszukotzen. Ich denke ernsthaft darüber nach, ob es mir dann vielleicht besser gehen könnte. Auf den phänomenalen Gedanken, dass ich mich kurz vor dem Hungertod befinde und dass ich vielleicht lieber etwas essen sollte,
ohne
es anschließend zu erbrechen, komme ich nicht einmal annähernd.
    Es ist Sonntag, das Passion hat geschlossen, und ich kann nicht arbeiten gehen. Mein Leben hat also keinen Sinn mehr. Ich fühle mich rastlos. Ich möchte mich in meinem Bordell auf das kuschelige Himmelbett legen, ich möchte von dem weichen, cremefarbenen Licht eingehüllt werden und irgendein belangloses Gespräch mit Brittany führen. Ich will Minny im Nebenzimmer lachen hören, ich will gespannt auf das nächste Türklingeln warten, und ich will nicht pausenlos an Essen oder Hungern denken müssen.
    Niemals wird irgendjemand auf dieser Welt auch nur für einen einzigen Moment verstehen, wie beknackt ich bin. Denn es ist unvorstellbar.
    Und wie soll ich eigentlich meinem zukünftigen Ehemann eines Tages erklären, was für einen Job ich einmal gemacht habe? Wie könnte ich ihm verständlich machen, dass ich ausgerechnet in der Prostitution den Teil von mir selbst wiedergefunden habe, den ich vorher so sorgfältig versteckt hatte.
    Reicht es, wenn ich sage: »Vor meiner Zeit im Bordell, da wusste ich nur das eine – nämlich dass mein Körper die Hölle ist und Sex der Teufel.«
    Wie soll ich erklären, dass mir Sex im Bordell näher war als jede Berührung zuvor, aber dass dieser Sex mir dennoch nichts bedeutet hat und dass ich mich mit dieser Dienstleistung gleichermaßen verletzt und getröstet habe.
    Niemand würde das begreifen.
    Niemand würde mich dafür lieben.
    Und falls Gott eine extreme Art von Humor besitzt, und die Welt deshalb eines Tages so abgedreht sein wird wie mein Gehirn, dann wird es bestimmt üblich sein,

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