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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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dass man allen Toten eine Zahl auf ihren Grabstein eingraviert, die angibt, wie viele verschiedene Sexpartner der Verstorbene zu Lebzeiten hatte. Dann müsste ich einen extra großen Grabstein bekommen. Oder zwei.
    Beidseitig bedruckt.
    Vielleicht sogar in Schwanzform.
     
    Ein Kunde hat mich neulich gefragt: »Wie viel wiegst du eigentlich?«
    »Neununddreißig Kilo«, habe ich gesagt.
    »Oh«, hat er gesagt, »ich hätte dich jetzt eher auf siebenunddreißig geschätzt.«
    Und ich hohle Nuss war auch noch stolz auf diese Bemerkung. Er fand mich schön. Er dachte, ich wäre ein Engel.
    Dabei bin ich krank.
    Todkrank.
    Und das weiß ich.
    Würde man Prostituierte nach Körpergewicht bezahlen, dann wäre ich wahrscheinlich die billigste Nutte in ganz Berlin.
    Oder ein Gratisfick.
    Ich hatte einmal Brüste. Lady hat mich oft genug daran erinnert, auch wenn sie mich ohne kennengelernt hat. Meine Arme und Beine schlafen ständig ein oder fangen an, unkontrolliert zu zittern, meine Periode hatte ich schon seit Jahren nicht mehr und wenn, dann nur für drei Minuten.
    Man vergisst schnell, dass nicht jede Bewegung ein anstrengendes Gefecht sein muss und nicht jeder Schritt ein Wettlauf mit der Zeit.
    Manchmal möchte ich mir versprechen, dass ich nie wieder hungern werde, nur um den Schmerz auszukosten, der ein Loch in mich bohrt, während ich leichter und leichter werde, bis ich mich kaum noch tragen kann. Ich möchte mir von einem Tag erzählen, an dem alles ein gutes Ende finden wird, an dem ich stolz auf mich sein werde, mir verzeihen kann und die Luft um mich herum nach Meeressommerblau riecht.
    Ich will vergessen, dass es Männer gibt, sie sich in mein T-Shirt und in meinen Rock zwängen wollen und sich dann wünschen, dass ich Kinderlieder für sie summe. Ich will nie wieder bitteres Sperma schmecken oder einen fetten Trottel auf mir haben, der so lange versucht, das Kondom abzustreifen, bis ich ihn rausschmeiße.
    Meine Zukunft kommt mir vor wie aus hauchdünnem Glas geschliffen. Eine winzige falsche Bewegung, eine zu heftige Erschütterung, eine zu schwere Last – und alles zersplittert.
    Ich liebe mein Leben. Bis zu dem Moment, in dem ich es auf einmal hasse.
    Ich sehe um mich: all die Frauen umgeben von hässlichen Geldscheinen. Sie haben Schränke voll mit Dessous. Und sie ziehen los, um sich neue Schränke zu kaufen, für noch mehr Dessous. Ein Flachbildfernseher reicht nicht, es müssen mindestens drei sein. Und eine Espressomaschine, dazu noch ein Kaffeevollautomat, ein überdimensionaler Schokoladenbrunnen, ein Kino-Dolbysurround-Soundsystem, eine intelligente Mikrowelle, ein DVD -Festplattenrekorder, ein DVD -Player, ein Ersatz- DVD -Player, mehr DVD s als der Filmverleih zwei Häuser weiter, eine unbenutzte Xbox, haufenweise unausgepackte Xbox-Spiele, ein kleiner Laptop, ein mittlerer Laptop und ein großer Laptop, ein PC , zwei Flachbildschirme, ein Edeldesigner-Brotkasten, der genauso aussieht wie jeder andere Brotkasten auch, ein Schließfach voll mit Schmuck, ein Drucker, sieben Handys, mehr Parfum, als man in einem ganzen Leben verbrauchen kann, und kiloweise Amedei-Schokolade. Und am besten noch eine vergoldete Penis-Statue auf dem Wohnzimmertisch.
    Auch unter meinen Kleidungsstücken befinden sich unzählige Geschenke von Gästen: Gucci-Pullover, die mehr kosten als meine Monatsmiete, Versace-Kleider, die man gegen einen Jahresurlaub eintauschen könnte, Armani-Mäntel, in denen ich mir wie ein anderer Mensch vorkomme, den ich nicht ausstehen kann, Dolce & Gabbana-Jeans, die wahrscheinlich teurer waren als meine gesamte Schlafzimmereinrichtung.
    Ich habe mir alles gekauft oder kaufen lassen, was ich mir jemals gewünscht habe, sogar das gottverdammte Puppenhaus, von dem ich als Kind geträumt habe, und ein riesiges Kuschelkrokodil, das mir den ganzen Platz in meinem Bett wegnimmt. Das ist vielleicht nichts, im Gegensatz zu den Sachen, die sich Huren leisten, die schon jahrelang diesen Job machen und viel mehr Termine annehmen. Aber es ist mehr, als ich brauche. Und trotzdem nie genug.
    Und, o Wunder: Ich bin immer noch nicht glücklich. Ich bin unbeschwerter, das muss ich dem Geld lassen, ich bin gelassener, weil ich nicht mehr panisch darüber nachdenken muss, wie ich mir mein Leben finanzieren soll, während ich von Tag zu Tag wahnsinniger werde. Ja. Mein Leben ist einfacher, weil ich eine Menge Sachen habe, die alles leichter und bequemer machen. Aber mein Leben dreht sich trotz allem weiterhin

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