Splitterfasernackt
sind abgehackt, sie hören sich an wie das dumpfe Scheppern von sägemehlüberzogenen Sperrholzplatten, die achtlos aufeinander geworfen werden.
Es wird Mittag, es wird Nachmittag.
Es wird Abend, es wird Nacht.
Amy und ich liegen noch immer zwischen den unzähligen Tüchern und Kleidungsstücken auf dem Bett im Mädchenzimmer und lauschen unserem Schweigen. Irgendwann setze ich mich auf, denn Alpträumen darf man keine Liegewiese bieten. Ich sehe zu Amy hinüber, sie hat ihre Augen geschlossen, ab und zu zucken ihre Lider. Mein eigener Blick verfängt sich in einem schiefen Spalt auf dem Parkettboden, obwohl da so viel anderes um mich herum ist, was ich sehen könnte.
»Ich will weg von hier«, durchbricht Amys Stimme schließlich die Stille.
Entfliehen – eine Tür aufreißen und rennen.
Ich weiß, was sie meint.
Ich weiß es haargenau.
All die Tage, die ich als Kind unter meinem Bett gelegen und darauf gewartet habe, dass es an der Tür klingelt und da jemand steht, der gekommen ist, um mich wegzuholen – in ein neues Leben, in eine schönere Welt, in ein wärmeres Zuhause. An einen Ort, an dem niemand zerreißt und zerstört, was anschließend keiner mehr zusammenzuflicken vermag.
Aber es hat nie geklingelt.
Und ich habe nie aufgehört zu warten.
Es ist der sehnliche Wunsch meiner entblößten Seele, dass eines Tages ein Mann vor dem Passion steht – ein Mann, der von Bedeutung ist, der mich auf seine starken Arme hebt, um mich an einen Ort zu tragen, an dem ich in Sicherheit bin.
Ich sehe diesen Augenblick deutlich in meinen Gedanken: Ich stehe dort entwurzelt, auf der anderen Seite von der Tür, mit stockendem Atem und einem viel zu heftig klopfenden Puls. Natürlich zögere ich. Natürlich beiße ich mir auf die Unterlippe und schwanke. Denn es ist die letzte Schlacht um meinen gefallenen Körper. Es geht um alles.
Alles oder nichts.
Er steht wortlos vor mir. Und mit einem einzigen Blick sagt er mir all diese Dinge, die ich schon seit Jahren weiß – aber sie von ihm zu hören macht sie erschreckend wahr und greifbar. Ich sehe mich vor mir wie ein offenes Buch, das niemand zu lesen vermag, weil es in einer geheimen Schrift geschrieben ist, die nur der Verfasser selbst entschlüsseln kann. Aber ganz egal, welche Seite ich auch aufschlage, ich erinnere mich nicht mehr daran, sie beschrieben zu haben.
Der Schmerz ist drängend, erfüllt von großen Erwartungen. Und ich möchte mir so gerne die Schande von meinem Körper wischen, erklären warum, wieso und wie lange schon. Ich möchte sie beschreiben, die Geschehnisse, die immer fernab liegen mussten, um niemals in Berührung mit meiner realen Welt zu gelangen.
»Lilly«, sagt er. »Lilly.«
Und seine Stimme kauft mich frei.
Die Worte verklingen nicht, sie zögern nicht, sie lassen keinen Raum für andere Möglichkeiten, und sie halten stand. Da weiß ich: Ich kann gehen.
Und ich werde nie wieder Felia heißen.
Er umfasst meinen Arm, während wir die Treppen hinuntersteigen und hinaus auf die Straße treten. Sein Griff ist fest, aber nicht grob, und er schenkt mir eine Nähe, die ich schon so lange nicht mehr gespürt habe, dass ich verlernt habe, sie zu vermissen.
Im Auto dann blicke ich aus dem Fenster, frage mich, wohin all die Leute, an denen wir vorbeifahren, wohl gerade gehen und ob sie, wenn sie mir ins Gesicht blicken würden, die Wahrheit erkennen könnten, die mich splitterfasernackt inmitten eines Raumes voll gutgekleideter Männer stehen lässt. Meine Splitter sind scharfkantig. Jede Faser von meinem Verstand hat sich verknotet. Und die nackte Blöße steht in meine Verfassung geschrieben. Es wäre schön, wenn irgendwer die Kunst darin erkennen könnte. Und es wäre schön, wenn ich meine Fehler übermalen dürfte.
Irgendwann sind wir schließlich da. Er öffnet mir die Autotür und trägt wie selbstverständlich meine Taschen in seine Wohnung. Ich selbst trage die unsichtbare Last, die weder Ana noch Mia für mich halten können, auch wenn sie es mir so oft versprochen haben.
In seiner Wohnung angekommen, stehe ich leise und still im Flur. Regungslos. So unauffällig wie möglich.
Ich wage es nicht, mich zu bewegen, solche Angst habe ich davor, aus diesem Traum gerissen zu werden. Doch da berührt er sanft meine Schulter und dreht mich zu sich herum. Dann zieht er mir den viel zu kurzen Rock aus, öffnet die Rückenbänder meines bauchfreien Tops, löst das schwarze Strapsband von meinem Oberschenkel und wischt mir den
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