Splitterfasernackt
hat einen Schritt zurück gemacht, einen Schritt von mir weg, und dann hat er hilflos zugesehen, wie ich von seinem Sofa auf den Boden gerutscht bin und mich in die hinterste Ecke seines Zimmers verzogen habe, um mich dort leise wimmernd zusammenzukugeln.
Irgendwann habe ich angefangen, Blut zu husten.
Jetzt sterbe ich, habe ich für einen winzigen klaren Augenblick gedacht.
Und irgendwie war ich erleichtert.
Ich war sogar erleichtert darüber, dass ich erleichtert war.
Aber dann wusste ich: Es ist nicht ganz so schlimm, ich sterbe nicht.
Komischerweise war auch das erleichternd.
Was für ein Hin und Her.
Dann war Chase wieder dicht bei mir und hat mir ein Taschentuch hingehalten. Ich hatte Zauberkräfte, ich habe das Tuch von Weiß zu Dunkelrot gezaubert, ohne die geringste Mühe, in keiner nennenswerten Zeit.
Ganz leise, als hätte er Angst, mit seiner Stimme etwas kaputt zu machen, hat Chase mir schließlich zugeflüstert: »Lilly, hör mir zu, ich bring dich ins Krankenhaus, und ich bleibe bei dir, okay? Die Ärzte dort können dir bestimmt helfen. Dein Hals muss vielleicht genäht werden, du hast da einen ziemlich langen Schnitt, auch wenn er nicht so tief zu sein scheint. Kannst du mich verstehen? Lilly? Es wird alles wieder gut, okay? Lilly?«
Es wird alles wieder gut.
Das ist mein Lieblingssatz.
Ich könnte ihn den ganzen Tag lang hören. Ich würde, ohne zu zögern, alle anderen Arten von Konversation aus meinem Leben streichen, nur um diesen einen Satz immer und immer wieder gesagt zu bekommen.
»Ich will nicht ins Krankenhaus!«, ist auch ein guter Satz.
Ich habe ihn damals gleich dreimal hintereinander zu Chase gesagt, weil er so nach Beständigkeit geklungen hat. Und ich konnte ihn auswendig, ohne ihn vorher einstudiert zu haben.
ATMEN ! Atmen.
Es tat so weh in meiner Brust.
»Lilly«, hat Chase drängend gesagt.
»Chase!«, habe ich gefaucht.
»Lilly …«, hat Chase beruhigend gesagt.
»Chase … ich will nicht untersucht werden!«, habe ich schließlich hervorgestoßen und dabei vergeblich nach Luft geschnappt. »Ich will nicht, dass mich jemand anfasst! Ich will das nicht!«
Und weil Chase nicht so geguckt hat, als könnte ich ihn davon abbringen, mich in das nächstgelegene Krankenhaus zu fahren, habe ich vor Panik noch heftiger geweint und ihn angefleht: »Bitte, bitte … ich tue alles auf der Welt, was du willst … aber ich kann jetzt nicht in ein Krankenhaus gehen. Bitte, Chase … lass mich einfach hier sein! Chase … bitte …«
Wahrscheinlich hatte Chase Angst davor, mich noch mehr aufzuregen; vielleicht dachte er, dass ich dann ersticken oder kollabieren würde oder seinen gesamten Fußboden in eine Blutlache verwandeln könnte.
»Ja … okay, kein Krankenhaus«, hat er deshalb besänftigend, wenn auch nicht sehr überzeugend gesagt und mir dabei ein frisches Taschentuch hingehalten. »Ist schon gut, Lilly, jetzt beruhige dich doch erst einmal.«
Ich habe das Taschentuch in die Hand genommen und mich daran festgekrallt, als wäre es Gottes leitende Hand voller Barmherzigkeit. Dann habe ich einen Schluckauf bekommen, und mein Brustkorb hat noch schrecklicher geschmerzt als zuvor. Ich wollte so gerne aufhören mit dem Heulen und dem Husten, aber ich konnte es nicht.
»Chase!«, habe ich geschnieft. »Mach, dass es aufhört. Ich kann nicht mehr!«
Da hat Chase vorsichtig seine Arme um mich geschlungen und meinen Kopf an seine Schulter gedrückt. Im ersten Moment habe ich noch versucht, ihn wegzuschieben, weil ich gelernt habe, dass Männer böse sind, dass Männer widerlich sind, dass sie zerstören, dass sie zerreißen, dass sie kleine Mädchen dazu zwingen, willenlose Fickpuppen zu sein. Aber dann habe ich aufgehört zu kämpfen, denn es war hoffnungslos. Und wir brauchen alle ein Stück Hoffnung. Also habe ich mich an Chase geklammert, um nicht einsam zu verenden. Das Luftholen tat furchtbar weh, und ich konnte mich nicht beruhigen – die heißen, salzigen Tränen brannten auf meinem Gesicht wie Säure, und ich habe versucht zu erzählen, zu sagen, zu erklären, zu beschreiben, verständlich zu machen, auszudrücken und mitzuteilen, was geschehen war.
Aber ich habe nur abgehackte Worte, zwischen Atemnot und Schluchzern, hervorgebracht.
Ich konnte mir keine Stimme geben.
Ich habe alles gesagt.
Aber es hat nicht gereicht.
Es waren die falschen Worte.
Es war eine fremde Geschichte.
Da war ein Teil von mir und ein anderer, den ich nicht kannte. Sie
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