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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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stehen.
     
    Nachdem ich zwei Stunden lang irgendwelche Sätze vor mich hin getippt habe und Brittany dreimal ihr Handy quer durch das Zimmer hat fliegen lassen, fühle ich es ganz sicher:
    Es ist Zeit für den Rückzug aus diesem nackten Gebiet.
    In meinem Kopf sind alle Söldner bereit.
    Aber niemand geht gerne weg. Besonders dann nicht, wenn die Straßen, auf denen man laufen muss, die gleichen sind, auf denen auch all die namenlosen Vergewaltiger gehen.
     
    Später an diesem Abend fahre ich zu Chase, weil ich nicht allein sein möchte.
    »Das ist aber mal eine schöne Überraschung«, sagt Chase, als er mir die Tür öffnet. »Normalerweise bin ich derjenige, der nachts vor deiner Tür steht.«
    »Wirst du mich vermissen, wenn ich tot bin?«, frage ich zur Begrüßung.
    »Ich vermisse dich jetzt schon«, antwortet Chase und lässt mich eintreten.
    Die Nacht zieht sich dahin, Stunde um Stunde.
    Ich liege wach, habe eine Hand auf meinen Bauch gepresst und versuche, nicht so schreckliche Angst vor mir zu haben. Chase schläft derweilen längst, und sein gleichmäßiger Atem dringt dicht an mein Ohr.
    »Sag, dass du mir kein Wort glaubst«, raune ich ihm leise zu und verstumme dann einen Moment, um zu prüfen, ob er auch wirklich tief genug schläft. Sein Atem bleibt ruhig und kontinuierlich, also kann ich fortfahren: »Sag, dass du mir kein Wort glaubst, wenn ich unter dir liege und du mich fragst, ob alles okay ist, und ich
ja
flüstere, als gäbe es mich nicht. Denn ich will weinen, deine starken Arme um meinen Körper spüren und sagen:
Ich weiß nicht, wie es ist, wenn es schön ist.
Und wenn ich Geschichten erfinde, um meine Lücken zu füllen, dann sag in mein unsichtbares Gesicht:
Irgendwann wirst du mir die Wahrheit erzählen.
Sag es so, dass ich weiß: Ich habe keine andere Wahl. Und dann lass mich heranwachsen, zu einer jungen Frau, die kein vergewaltigtes kleines Mädchen mehr ist. Lass mich unter dir liegen, deine Nähe spüren. Und lass mich verstehen: Es ist okay.«
    Chase murmelt etwas im Schlaf und dreht sich auf die andere Seite. Dann dreht er sich wieder zurück, brummt zweimal und legt schließlich einen Arm um mich.
    Ich warte einige Minuten ab.
    Ich verharre ganz still.
    Ich höre auf das Ticken seiner Wanduhr.
    Und dann tauche ich unter Chase’ Arm hindurch weg von ihm, nehme mir eine der beiden Decken, krieche leise aus dem Bett und rolle mich zum Schlafen auf dem Fußboden zusammen.
     
    Zur gleichen Zeit sitzt Alex in seinem Auto, das er in einer der Seitenstraßen vom Passion geparkt hat, und wartet.
    Und wartet. Und wartet.
    Psychopathen sind wahrscheinlich mit Abstand die geduldigsten Menschen auf der Welt. Als Amy schließlich das Bordell verlässt und von Eriko nach Hause gefahren wird, folgt Alex den beiden bis zu der Straße, in der Amy wohnt, und dann lauert er dort geduldig hinter einem dunklen Baum verborgen, bis Erikos Wagen wieder verschwunden ist. Anschließend schlendert er gelassen, ohne einen einzigen Moment des Zögerns, zu der Haustür hin, klingelt einmal langgezogen und weiß dabei ganz genau, dass Amy ahnungslos genug ist, um ihm die Tür zu öffnen.
    Er behält recht.
    Sie steht unsicher lächelnd vor ihm.
    »Was machst du denn so spät noch hier?«, fragt sie leise und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
    Er antwortet nicht darauf.
    Seine Augen sind kalt.
    Er betritt ihre Wohnung und schließt die Tür hinter sich.
    Er schiebt den Riegel vor, er hängt die Sicherheitskette ein.
    Für sie ist es jetzt zu spät, um zu begreifen.
    Für ihn ist es Gerechtigkeit.
    »Du verdammte Nutte!«, beschimpft er Amy, während er sie auf den Boden wirft und seine Hose öffnet. »Du dreckige Scheißhure, hast es nicht besser verdient! Du fickst doch eh mit jedem beschissenen Schwanz, was heulst du jetzt so rum!?«
    Irgendwann hört sie auf, sich zu wehren.
    Irgendwann ist er fertig mit ihr.
    »Das ist es doch, was du den ganzen Tag machst«, sagt er zum Abschied.
    Dann spuckt er sie an.
    Und lässt sie liegen.
     
    Am nächsten Morgen kommt Amy kurz nach mir ins Passion. Ihr Gesicht ist weiß wie eine kahle Wand, und ihre Unterlippe ist aufgesprungen und angeschwollen. Sie weicht meinem Blick aus, sie weicht meiner Umarmung aus – sie ist genau wie ich.
    »Was ist passiert?«, frage ich erschrocken und setze mich zu ihr auf das Bett.
    Amy schüttelt abwehrend den Kopf und starrt stumm auf eine Stelle rechts neben dem Wandschrank.
    Irgendwann fängt sie an zu erzählen, ihre Worte

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