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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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begann meine Haut fürchterlich zu jucken, nicht nur im Ge­sicht, sondern am gesamten Körper.
    Ich gab es auf, mich auch nur in irgendeiner Form ansehnlich zu gestalten. Es kostete einfach zu viel Energie. Sogar der Gedanke an Kamm oder Make-up war zu anstrengend. Meine Haare erkannten ihre einmalige Chance und vermittelten mir deutlich, dass sie sich nie wieder dem Diktat einer Frisur beugen würden. Mein Wirbel auf der Stirn war zurückgekehrt und freute sich über die Gesell­schaft von naturdichten Augenbrauen und braunroten, schorfigen Pocken, die nur vor meinem Mund haltmachten.
    Papa versorgte mich mit viel zu großen Penizillintabletten; Mama rührte aus ihren Gartenkräutern stark riechende giftgrüne Pasten zusammen, die sie mir zweimal am Tag auf die wunden Hautstellen strich und die den Juckreiz wenigstens kurze Zeit linderten. Aller­dings versauten sie mir das komplette Bettzeug. Zwei Tage lag ich in meinem abgedunkelten Zimmer und starrte vor mich hin. Ich fühl­te mich sterbenselend.
    Am Tag drei - ich hatte gerade den Gipfelpunkt der Entstellung erreicht - stürmte ein wütender Tillmann ins Zimmer, jagte von ei­ner Ecke in die andere und schimpfte wie ein Rohrspatz. Ich hielt mir meinen glühenden, juckenden Kopf und nahm nur Satzfetzen wahr: »... dachte, du warst bei diesem ... wenn du nicht da bist, dass dann was passiert ist ... sollte ich wissen, dass du krank ... Sorgen gemacht... rücksichtslos... dachte, du bist tot oder so was ...«
    »Tillmann!«, rief ich schließlich heiser. »Halt endlich die Klap­pe!«
    Er verstummte und blieb stehen, ein bebendes Bündel Energie.
    »Meine Eltern sollten nicht unbedingt erfahren, dass ich da hin­gehen wollte. Zu diesem Menschen. Aber wenn du weiter so rum­schreist ...«
    Der Hals tat mir zu sehr weh, um meinen Satz zu vollenden. Till­mann wirkte wie ein eingefrorener Wirbelwind, der jeden Moment losbrechen konnte, doch mein verunstaltetes Antlitz lenkte ihn von seinem Zorn ab. Er musterte mich nachdenklich.
    »Mann, siehst du scheiße aus«, sagte er nach einigen stillen Mo­menten grinsend.
    »Ich weiß«, krächzte ich. »Windpocken. Und ich war nicht bei ihm. Ich bin vorher krank geworden. Kein Grund zur Panik. Außer­dem kennen wir uns ja nicht, oder? Musst dich also nicht so auf­regen.«
    Meine Spitze nahm er mir nicht übel, setzte jedoch erneut zu ei­nem erzürnten Vortrag an, den er rasch abbrach, als er sah, dass ich mir gequält das Kissen auf die Ohren drückte.
    »Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?«, fragte ich matt.
    »Also echt. Wir leben hier auf dem Land. Das war nun wirklich nicht schwierig.«
    Er kam vorsichtig näher und beäugte neugierig meine Pusteln. Ich kam mir entblößt vor und zog meine Decke höher. Gleichzeitig nahm ich durch meine verstopfte Nase etwas Störendes wahr - Rauch. Zigarettenrauch, wenn mich nicht alles täuschte.
    »Du bist zu jung zum Rauchen«, knurrte ich.
    »Und du zu alt für Windpocken. Außerdem sind es keine Ziga­retten.«
    »Joints?«, hakte ich pflichtbewusst nach und dachte an Maikes Worte über diesen nervigen kleinen Bastard. Ich hätte auf sie hören sollen.
    »Nee. Das kommt wahrscheinlich auch noch irgendwann. Ich rauche Pfeife.«
    Es war das erste Mal, dass ich seit dem Ausbruch meiner Seuche lachen musste, und meine Bronchien quittierten es mit einem er­stickten Hustenanfall. Tillmann lachte nicht mit. Er schaute mich nur ernst und ein wenig abschätzig an und zog dann einen langen, schmalen Gegenstand aus seinem Rucksack.
    »Das da. Keine normale Pfeife.«
    Ich nahm das fremdartige, mit Federn verzierte Ding in die Hän­de. Es kam mir vage vertraut vor - natürlich, eine indianische Frie­denspfeife. Das war in der Tat ein höchst skurriler Film, in den ich da hineingeraten war.
    »Hau«, sagte ich und kicherte unwillkürlich, ein Geräusch wie eine sterbende Krähe. Tillmann entblößte seine Zähne - mehr ein Blecken als ein Grinsen.
    »Okay, sorry, ich wollte mich nicht darüber lustig machen. Es ist nur irgendwie merkwürdig. Findest du nicht?«
    »Nein«, antwortete er leidenschaftlich. »Das ist es nicht. Für dich vielleicht. Aber ich sitze nicht gerne in Häusern. Ich bin lieber in der Natur. Und eine Friedenspfeife ist mehr als nur eine Pfeife. Man benutzt sie nicht einfach. Sie ist etwas - Heiliges.«
    Ich konnte mir Tillmann nur schwer vorstellen, wie er mit seinen Cargo-Jeans und den ewigen Hip-Hop-Kapuzenpullovern alleine in der Pampa saß und

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