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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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totenstill. Selbst das boshafte Raunen verstummte. Maike glotzte mit offenem Mund auf den Platz. Unter ihren Armen bildeten sich dunkle Schweißfle­cken.
    Lautlos schwebte Louis auf das Viereck und kam in einer tänzeri­schen Bewegung direkt vor uns zum Stehen. Colin tippte sich lässig an die Hutspitze und hob den Blick. Doch er sah mich nicht. Er schaute gleichgültig durch mich hindurch und es versetzte mir ei­nen glühend heißen Stich.
    Ein Wispern ging durch die Reihen, sobald die Musik ertönte - keine platte orchestrale Version irgendwelcher Popschnulzen, son­dern die sagenhafte Maxiversion jenes Songs, den ich mit vierzehn zufällig in der Plattensammlung meines Vaters entdeckt hatte und wochenlang in meinem Zimmer rauf und runter spielte. The Day Before You Came von Blancmange. Der Tag, bevor du in mein Leben getreten bist. Und alles anders wurde. Ich verstand den Titel schon beim ersten Hören, ohne die Zeilen zu übersetzen.
    Dann hatte ich es doch getan, aus purer Neugier, und konnte mich erst recht nicht mehr davon lösen. Denn auch ich wartete auf den Tag, an dem endlich alles anders werden sollte. Aber er kam nicht. Jeden Abend löschte ich das Licht und nichts hatte sich verändert. Irgendwann hatte ich mich damit abgefunden. Seitdem hatte ich diesen Song nie wieder gehört.
    Aber jetzt traf er mich wie ein Donnerschlag. Meine Musik. Mein Lebenssong. Warum? War es Zufall? Oder wollte Colin mich quä­len? Quatsch, Ellie, das kann er gar nicht wissen, versuchte ich mei­nen Groll zu dämpfen.
    »Bah, was ist denn das für eine bescheuerte Musik«, nahm ich von ferne Maikes Stimme wahr. Ich schüttelte sie ab wie eine lästige Mü­cke. Meine Augen hatten sich hoffnungslos und auf ewig verfangen. Was Colin und Louis vor den glasigen Blicken der Zuschauer voll­führten, war keine Prüfung, sondern ein Tanz. Nicht ein einziges Mal konnte ich Unruhe oder Gewalt in Colins Händen entdecken. Seine Schenkel ruhten weich am Pferdebauch, seine Lider blieben gesenkt, er war ganz bei sich und seinem Hengst. Die gaffenden, lästernden Zuschauer, deren Raunen von der Musik übertönt wur­de, nahm er nicht wahr. Doch die Vögel waren verstummt und die Hunde hatten sich knurrend unter die Bänke der Zuschauer zu­rückgezogen.
    Ohne ein Zucken oder einen einzigen Schlenker kam Colin mit Louis zum Stehen. Wieder senkte er den Kopf und grüßte.
    »Na toll, jetzt brauchen die anderen eigentlich gar nicht mehr an­zutreten«, giftete Maike. »Das hat er ja wieder super hingekriegt. Alle Pferde verrückt machen und dann den Pokal holen. Der Typ ist so ätzend.«
    Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne. Die Temperatur sank spürbar. Nein. Colin mochte ätzend sein, von mir aus, aber er konnte verflucht noch mal reiten.
    »Er war doch wirklich ...«
    »Warte mal, du hast da was«, unterbrach Maike mich und griff mir ins Gesicht. Ich wich zurück. Ihre Finger rochen nach nassem Toilettenpapier.
    »Jetzt halt doch mal still!«, herrschte Maike mich an und fuhr mit dem Fingernagel unsanft über meinen Mundwinkel. Doch ich sah an ihr vorbei, nach hinten zum Warmreiteplatz, wo Colin wie ein Denkmal auf Louis thronte, den Kopf starr zu uns gewandt. Er fi­xierte Maike, mit finsterem, drohendem Blick. Warum Maike und nicht mich? Und warum bemerkte sie es gar nicht?
    »Warte, so geht das nicht«, schimpfte sie und spuckte auf ihr zer­knülltes Taschentuch. Ein Speichelfaden blieb an ihrem Kinn hän­gen. Ehe ich mich wehren konnte, wischte sie mir mit dem feuchten Kleenex über die Lippen. Ich wollte ihre Hand zur Seite schlagen, doch meine Muskeln reagierten nicht. Mein Arm blieb schlaff hän­gen.
    »Ha, jetzt ist es weg«, sagte Maike zufrieden und drückte das Ta­schentuch zurück in ihre Hosentasche. Sie lächelte mich an. Zwi­schen ihren Vorderzähnen steckte ein Stückchen Schnittlauch. Ihre klebrigen Finger schlossen sich unsanft um mein Handgelenk, doch ich reagierte nicht auf ihr Ziehen.
    »Nun komm schon, wir holen dir ein neues Stück Kuchen«, for­derte sie mich auf.
    »Nein«, sagte ich schwach. Colin hatte mich nicht gesehen. Er war direkt an mir vorbeigeritten und hatte mich nicht gesehen. Zwei Wochen nur waren vergangen, auch wenn sie sich angefühlt hatten wie ein ganzer Monat, und Colin kannte mich nicht mehr. Stattdessen sah er Maike an. Hatte ich mich getäuscht? Hatte es nie eine Verbindung zwischen uns gegeben? Aber warum wollte ich dann zu ihm? Ich wollte mit ihm reden und mit ihm Zeit

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