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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Es waren Utensilien, die ich auch bald in den Müll geben konnte. Auf der marmornen Ablage standen mehrere Herrendüfte in rauchigen Fla­kons, von denen einige sehr alt, einige sehr teuer und einige sehr neu zu sein schienen. Direkt daneben fand ich ein eindrucksvolles Arsenal an Manikürewerkzeug: Nagelschere, Feile, Knipser in ver­schiedenen Größen und Ausführungen - ich war doch nicht etwa an einen schwulen Nachtmahr geraten?
    Ich beeilte mich und stellte fest, dass ich nicht so schrecklich aus­sah, wie ich befürchtet hatte. Meine dichten Augenbrauen, die ich in den vergangenen Jahren unter Nicoles ehrgeiziger Assistenz regel­mäßig zu einem vornehm gebogenen Strich ausgedünnt hatte, irri­tierten mich immer noch. Aber in meine Augen war ein klarer, le­bendiger Glanz zurückgekehrt. Mit etwas festerem Schritt nahm ich die Stiege hinunter. Colin saß unverändert lässig auf seinem Sofa.
    »Schönes Bad«, sagte ich spitz. »Du hast mehr Manikürekram als ich. Und mehr Parfüm.« Jetzt war ich diejenige, die ihn musterte.
    »Sammelt sich an mit den Jahrzehnten, das Parfüm. Und wenn ich nicht jeden Tag meine Nägel schneide und feile - nun, sie wer­den sofort lang und spitz. Hart wie Diamanten. Pferde mögen das nicht so gerne. Frauen im Allgemeinen auch nicht.«
    Meine Kehle wurde eng. Der Mistkerl provozierte mich. Und er hatte offensichtlich einen Heidenspaß dabei. Mir hingegen war gar nicht zum Spaßen zumute.
    »Okay, Colin. Papa sagt, du bist gefährlich und ich darf dich des­halb nicht sehen. Warum? Wie gefährlich bist du? Was bist du? Halbblut, Vollblut, Mischblut? Ich weiß ja nicht, welche Kategorien ihr da zur Verfügung habt. Oder bist du etwas ganz anderes?« Ich klang feindselig, doch das Zittern, das meinen gesamten Körper er­griffen hatte, verriet mich. »Du bist nicht zufällig ein besonders altes Halbblut, oder?«, fügte ich mit hoffnungsvoller und sehr viel zah­merer Stimme hinzu.
    Colins Blick verdüsterte sich. »Nein. Nein, das bin ich nicht. Ich bin ein Cambion.«
    »Ein Cambion«, seufzte ich. Dieses Wort hatte ich noch nie ge­hört. »Na super. Bin ich jetzt in einer Fortgeschrittenenversion von Herr der Ringe gelandet, oder was?«
    Colin grinste.
    »Ich finde das nicht komisch!«, protestierte ich. »Du bist also kein Mahr?«
    »Doch«, sagte Colin. »Ich bin sogar einer der reinblütigsten. Ge­zeugt von einem Mahr, geboren von einer Menschenfrau. Das nennt unsereins Cambion. Mehr Mahr geht kaum.« Der Humor war aus seinen Augen gewichen und ich glaubte, eine Spur Scham heraus­zuhören.
    »Gezeugt von einem Mahr?«
    »Einem weiblichen Mahr. Tessa.« Seine Stimme troff vor Hass und Abscheu. Das abgrundtiefe Grauen war für einen Atemzug zum Greifen nah. »Tessa ist eine der ältesten. Je älter sie sind, desto mehr
    Macht haben sie. Erst recht, wenn sie sich junge Opfer suchen. Die alten sind auch die einsamsten. Eigentlich sind Nachtmahre Einzel­gänger. Sie leben alleine und jagen alleine. Und sie können sich nicht fortpflanzen. Doch nicht alle kommen damit zurecht. Ganz besonders die Alten nicht. Sie wollen Gefährten haben, die ihnen die moderne Welt erklären. Oder sie wollen Gott spielen und neue Mahre erschaffen. Wie Tessa.«
    Die Bitterkeit in Colins Stimme schnürte mir die Kehle zu. Er wirkte kühl und distanziert - wie jemand, der auf keinen Fall Trost oder Mitgefühl wollte. Louis, der immer noch am Fenster stand und zu uns hereinäugte, schnaubte leise. Er durfte trösten. Ich nicht.
    Colin sah mich prüfend an. »Was hat dein Vater gesagt, was ich bin?«
    »Nichts. Nur dass du gefährlich bist. Und ...« Ich zögerte.
    »Was und?«
    »>Es könnte uns alle umbringen.< Das waren seine Worte.« Meine Hände begannen zu schwitzen. »Das sagte er zu mir, als ich dich Wiedersehen wollte. Ich sollte nicht einmal daran denken.«
    Colin nickte nachdenklich. Ich erstarrte.
    »Heißt das etwa -?«
    »Nein«, sagte er schnell. »Bleib sitzen, Ellie. Aber es hätte so sein können. Nicht alle Mahre sind ihm wohlgesinnt. Um genau zu sein: nur sehr wenige. Die Mahre haben naturgemäß kein Interesse da­ran, dass die Menschen von ihrer Existenz erfahren. Jeder Mensch, der etwas weiß, ist in ihren Augen einer zu viel.«
    Ich atmete auf. »Und du bist Papa wohlgesinnt?« Die Szene in unserem Wintergarten hatte beileibe nicht danach ausgesehen.
    Colin hob die Achseln. »Er ist mir gleichgültig. Er soll tun, was er für richtig hält. Wenn er mich in Ruhe lässt, lasse

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