Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
das Wesen auf dem First, wie ein Tier vor dem Sprung, die Hände flach zwischen den nackten Füßen aufgesetzt, den Rücken durchgebogen.
    Die kräftigen, kleinen Finger endeten in langen, spitz zulaufenden Nägeln; auf den Handrücken spross braunroter Flaum. Ein eigen­tümlicher Duft umgab dieses kauernde Wesen - schweres, süßes Parfüm vermischt mit dem Modergeruch uralter Möbel und  schwülem Moschus. Die Goldketten um Hals und Arme klirrten, als es sich noch etwas tiefer duckte. Seine Rockschöße bewegten sich leicht hin und her.
    Ich drehte mich, um in sein Gesicht blicken zu können. Doch mein Freiflug wurde von einer unsichtbaren Macht gehemmt. Egal, wie ich mich wendete und welchen Winkel ich wählte - immer ver­hinderte die Haarflut, dass ich dem Wesen ins Gesicht schauen konnte.
    Aber ich war mir sicher, dass es eine Frau war. Keine menschliche Frau, sondern ein räuberischer Dämon, der eine Menschengestalt gewählt hatte, um jagen zu können. Tessa. Sie war klein und zierlich, ein Mädchenkörper in mottenzerfressenen, samtenen Gewändern mit vergilbter Spitze, doch ihre behaarten Hände krallten sich unerbittlich in die schweren Balken.
    Noch einmal drang das kehlige Seufzen durch die sich unaufhör­lich windenden Haare - ein Seufzen voller Gier, Genugtuung und Vorfreude. Bang blickte ich zu Colin. Seine Züge begannen sich zu entspannen. Tessa wippte fast unmerklich vor und zurück. In ihrem Rachen wuchs ein kaum hörbares Grollen zu einem hypnotischen Summen heran. Nun hielt sie sich nur noch mit ihren weißen Füßen an den Balken fest und breitete ihre Arme weit aus. Farblose zappelnde Spinnen fielen aus ihren Gewändern, um sofort mit weit gespreizten Beinen Halt im morschen Holz des Dachstuhls zu finden. Angeekelt wich ich zurück.
    Colin, dachte ich warnend. Verschwinde. Schnell! Die Pferde schnaubten unruhig. Doch Colin schlief. Ja, er schien sogar zu träumen. Seine linke Hand zuckte und ein zartes Lächeln huschte über sein Gesicht. Lautlos ließ Tessa sich fallen, direkt auf seine Brust. Ihre Finger krümmten sich zu Klauen und zerrissen Colins Hemd, als sie tief in sein Fleisch eindrangen. Er schlug die Augen auf, doch sein Schreck wurde rasch von einem überraschten, aber verklärten und sehnsüchtigen Ausdruck verdrängt, der die Eifersucht wild in mir brodeln ließ - Eifersucht und Furcht vor dem, was nun passie­ren würde.
    Tessas Grollen wurde stärker und stärker. Wie von einer unsicht­baren Macht gezwungen ließ Colin die Arme schlaff zur Seite fallen. Mut durchtränkte den Stoff seines Hemdes. Mit einer rasend schnel­len Bewegung riss Tessa es ihm vom Leib. Colin stöhnte auf. Dünne schwarze Rinnsale bahnten sich den Weg über seine Muskeln und versickerten im Heu.
    Tessa duckte sich noch tiefer über ihn. Er ließ seinen Kopf in den Nacken sinken, schloss die Augen und gab sich ihr willenlos hin.
    Wach auf!, wollte ich rufen. Doch ich konnte nichts tun. Nur Zu­ sehen, wie Tessa von ihm Besitz ergriff, ihn sich zu eigen machte, ihn glauben ließ, dass er sie liebte, sie haben wollte. Mit einem zu­friedenen Grunzen hob sie ihre Röcke.
    Nein, schrie meine Seele lautlos. Ich will hier raus. Ich möchte das nicht mehr sehen. Bitte nicht. Nein -
    Keuchend erwachte ich. Mein Kopfkissen war durchnässt von Schweiß. Ich wollte meine Decke zurückschleudern, aber ich konnte mich nicht rühren. Ich war gelähmt. Ich versuchte zu rufen, doch auch meine Stimme versagte.
    Das habe ich nicht sehen wollen, Colin, flehte ich in Gedanken. Das halte ich nicht aus. Ich halte es nicht aus, nichts daran ändern zu können, weil es bereits geschehen ist.
    Kalte Panik erfüllte mich - Panik, wieder einzuschlafen, wieder zu träumen und mit ansehen zu müssen, was Tessa mit ihm machte, wie sie sich alles nahm, was ihm noch geblieben war. Und er ließ es zu. Ohne Kampf. Ohne ein Wort. Sie musste das schönste Gesicht haben, das die Natur je erschaffen hatte.
    Doch ehe ich es mir ausmalen konnte, hatte mich der Schlaf wie­der mit roher Gewalt gepackt. Nur ganz kurz sah ich Colin im Heu liegen, mit bereits verheilenden Wunden auf dem ganzen Oberkör­per, dicht neben ihm ein rundes Bündel mit weißen Klauen und angewinkelten Beinen, dessen bloße Füße sich gegen sein Bein stemmten. Die roten Haare bedeckten Colins linken Arm und wan­den sich auf seine Brust zu.
    Dann bemächtigte sich ein Sog meines Bewusstseins, dem ich nicht entrinnen konnte. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich dagegen

Weitere Kostenlose Bücher