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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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oder an­deren Stoßseufzer nicht unterdrücken konnte.
    »So schlimm ist es auch wieder nicht, die Nacht hier zu verbrin­gen«, brach er schließlich das Schweigen. »Wir frieren nicht und verhungern werden wir auch nicht.«
    Du hast ja keine Ahnung, dachte ich im Stillen. Doch es bestand die winzige Chance, dass Colin sich nicht an uns rächte. Nur dieser Chance zuliebe schluckte ich all das hinunter, was ich in diesen frü­hen Morgenstunden zu gerne jemandem anvertraut hätte.
    »Warum wolltest du dieses - Rodeo eigentlich ausgerechnet mir zeigen?«, fragte ich Tillmann, um mich von meinen Ermordungs­fantasien abzulenken. Ich rückte ein wenig näher an ihn heran. Er roch beruhigend nach Tabak und feuchtem Gras. Irritiert schaute er mich von der Seite an.
    »Nicht weil ich auf dich stehe oder so«, sagte er ruhig. »Bist nicht mein Typ. Ich steh auf Ladys.«
    »Hä?«, machte ich perplex. Was ging denn in dem wirren Kopf vor?
    »Na ja - du kommst immer näher und fragst mich, warum ich dich mitgenommen habe. Da kann man ja mal Missverständnissen Vorbeugen.« Das Feuer war fast heruntergebrannt. Die Glut leuch­tete Tillmann rot an. Seine Augen schimmerten wie Rubine.
    »So war das nicht gemeint«, erwiderte ich patzig. Noch vor sechs Wochen war ich gut und gerne als Lady durchgegangen. Ich trauerte den Ladyanstrengungen zwar nicht mehr hinterher - es hatte sich auslackiert aber meine Eitelkeit war angekratzt. Wenn ich heute Nacht schon hier draußen sterben musste, wollte ich wenigstens be­gehrt sterben. Dennoch verkniff ich mir eine ganze Palette an gifti­gen Kommentaren. Es war nicht besonders klug, mit dem einzigen Menschen zu streiten, der mich wieder nach Hause lotsen konnte.
    »Keine Bange, ich will nichts von dir. Aber warum dann?«
    »Na, da gibt es doch einige Gründe. Vor allem kann man sich mit dir ganz gut unterhalten«, sagte er ernsthaft. Oh ja, und das tat er ja auch stets in aller Ausführlichkeit. Ich schüttelte grinsend den Kopf und bereute es im gleichen Augenblick. Mein Nacken war steif wie ein Brett.
    Weil Tillmann und ich uns so toll unterhalten konnten, warteten wir schweigend, bis es langsam hell wurde und die Waldvögel ihr morgendliches Konzert anstimmten.
    Tillmann erhob sich und streckte sich ausführlich, bis seine Ge­lenke knackten. Dann suchte er sich einen schmalen Baum aus und kletterte ein paar Meter nach oben. Ich versuchte gar nicht erst, ihn davon abzuhalten. Sollte er sich doch den Hals brechen. Nach weni­gen Sekunden ließ er sich fallen und landete sicher auf beiden Fü­ßen. »Okay, ich glaube, ich weiß, wo wir sind. Komm mit«, sagte er, nachdem er das Feuer gründlich ausgetreten und mit Steinen be­deckt hatte.
    Forsch lief er voraus. Nach wenigen Metern ging es steil bergauf. Hier waren wir also abgestürzt. Wir hätten uns umbringen können. Hinter der letzten Steigung stießen wir auf einen schmalen Wan­derweg. Unter uns lag der Wald, rechts von uns ein frisch gemähtes Feld. Ein Hase saß in einer der Furchen und blickte uns einen Mo­ment lang regungslos an, bevor er mit fliegenden Hinterläufen das Weite suchte. Blutig rot kämpfte sich die Sonne über den Horizont.
    Eine Weile blieben wir stehen und atmeten durch. Die Luft war rein und duftete köstlich. Ich konnte kaum genug davon bekom­men. Ich überprüfte rasch mein Aussehen, doch da war nicht viel zu machen. Ich war von oben bis unten von Kratzern übersät und mei­ne Jeans klebte steif an meinen Beinen. Während wir am Feuer ge­sessen hatten, war der Morgentau gefallen und hatte den feinen Staub an unseren Kleidern in festen Lehm verwandelt, auf dem Zweige und Blätter hafteten. Wir sahen aus wie zwei Waldgeister.
    Ich blickte mich um. Nun wusste auch ich, wo wir waren - nur wenige Hundert Meter von der Kneippanlage am Bach entfernt. Ich musste einen gigantischen Bogen geschlagen haben bei meiner Flucht.
    »Okay, Ellie«, sagte Tillmann. »Ich muss nach Hause, bevor mei­ne Mum aufwacht. Sonst gibt es Stress.« Er streckte mir seine Hand hin. »Ciao. Hat mich gefreut.« Automatisch gab ich ihm meine, ob­wohl ich diese Verabschiedung etwas zu förmlich fand. Andere Menschen wären sich jetzt um den Hals gefallen und hätten sich ewige Freundschaft geschworen. Aber wir waren wohl beide nicht wie andere Menschen.
    »Mich auch«, antwortete ich belämmert. Freude war eigentlich ein sehr unpassender Ausdruck für das, was mir in dieser Nacht widerfahren war. Aber ich wusste, was er meinte.
    »Und

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