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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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da?«, fragte ich zitternd. Das Schweigen am ande­ren Ende der Leitung breitete sich aus und wurde nur ab und zu von einem weiteren röchelnden Atemzug unterbrochen. Ein Atemzug, der sich uralt anhörte.
    »Wer spricht?«, fragte mich der Anrufer schließlich. Seine Stimme ging mir durch Mark und Bein. Ich konnte nicht sagen, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte. Sie war tief - kaum mehr als ein heiseres Flüstern, jedoch so mächtig, dass ich mich noch wehrloser fühlte, als ich es ohnehin schon tat.
    »Elisabeth ...« Ich brach ab. War es klug zu sagen, wer ich war? Doch vielleicht musste ich es tun, damit sich alles als ein Irrtum herausstellte. Verwählt. Und nichts weiter.
    »Elisabeth Sturm.«
    Wieder Schweigen und röchelndes Atmen, minutenlang. Wie konnte sich ein Röcheln nur so stark und furchterregend anhören? Es war kein krankes Röcheln. Und doch wurde ich den Eindruck nicht los, dass der Anrufer sich in Not befand. In seelischer Not. Sonst hätte ich längst aufgelegt. Trotzdem schwanden meine Kräfte.
    Ich ließ mich auf den Boden sinken. Mir war schwindlig. Vergeblich schluckte ich gegen den immer dicker werdenden Kloß in meiner Kehle an.
    »Ich möchte Leopold Fürchtegott sprechen.«
    Zwei Donnerschläge lang blieb ich bewegungslos sitzen, den Hö­rer fest an mein Ohr gepresst. Das Röcheln erstarb.
    Fürchtegott. Leopold Fürchtegott. Papas alter Name.
    Ich ließ das Telefon fallen und wollte schon das Kabel aus der Wand ziehen, als ich wie ferngesteuert innehielt und meiner Hand zusah, wie sie erneut nach dem Hörer griff.
    »Sind Sie noch da, Fräulein Sturm?« Die Stimme klang nicht ein­mal drohend. Und der Anrufer war höflich. Trotzdem schien sie eins mit dem Blut zu werden, das brutal durch meinen Körper hämmerte.
    Krampfhaft dachte ich nach. Wenn ich sagte, Papa sei in Italien, dann würde der Anrufer ahnen, dass ich allein zu Hause war. Wollte er mir etwas anhaben, so wäre das die passende Gelegenheit. Sagte ich aber, Papa sei hier, dann würde er vielleicht erst recht herkommen, denn es schien ja dringlich zu sein. Und ich wollte dieses - dieses Wesen nicht im Haus haben, sosehr mich die Not, die ich aus seiner Stimme heraushörte, auch traf.
    Ich musste mir auf die Lippen beißen, um ihn nicht zu fragen, ob ich ihm irgendwie helfen könne.
    »Er ist nicht hier«, sagte ich schließlich. Ich war überrascht, wie fest meine Stimme klang. »Er ist in Italien.«
    Wieder Schweigen. Dieser Mensch hatte verblüffend viel Zeit an­gesichts der Tatsache, dass sich sein Anliegen so eilig anhörte. Un­endlich viel Zeit. Ich wartete mit angehaltenem Atem, während es in der Leitung ab und zu knisterte. Das Donnern entfernte sich, doch der Himmel blieb finster. Ich warf einen kurzen Blick nach draußen. Die Wolken hatten sich so tief gesenkt, dass ich die Hügel um unser
    Haus herum nicht mehr sehen konnte. Selbst der Feldweg ver­schwand im Dunst. Es regnete immer noch in Strömen.
    »In Italien ...«, durchbrach sein Raunen nachdenklich das Knis­tern.
    Ich nickte. Ich musste nichts sagen. Es war, als wäre er in meinem Kopf und würde während seines langen Schweigens meine Gedan­ken durchwühlen. Hätte er Papas alten Namen nicht genannt, wäre ich mir sicher gewesen, dass es einer seiner durchgeknallten Patien­ten war. Doch seitdem Papa die Klinik leitete, waren die Anrufe von Patienten selten geworden. Vor allem aber praktizierte er seit meiner Geburt unter dem Namen Sturm. Oder war es ein Patient von frü­her? Hatte er wieder einen Schub? Nein, das konnte nicht sein. Papa hatte damals noch nicht als Psychiater gearbeitet.
    »Gut«, hörte ich ihn sagen. Dann knackte es laut, die Verbindung brach ab und pünktlich zum erlösenden Freizeichen gingen die Lichter wieder an. Ich kniff die Augen zusammen und legte das Te­lefon auf das Sideboard. Ich brauchte Sauerstoff. Schnell. Ich stürzte zum Fenster und öffnete das obere kleine Viereck. Es ganz zu öff­nen, erschien mir zu riskant. Aber ich hatte das Gefühl zu ersticken. Kühle Gewitterluft strömte herein. Ich inhalierte sie tief.
    »Gott sei Dank«, seufzte ich und schaute mich rasch um. Ich konnte nirgends abgehackte Körperteile, Riesenspinnen oder er­hängte Familienmitglieder entdecken. Und nie hatte ich mich mehr über den Anblick von Mamas Nähkiste gefreut als jetzt. Sie sah so harmlos und friedlich aus. Versonnen fuhr ich mit den Fingern über das bemalte Holz. Schon Oma hatte diese Kiste benutzt.
    Oma, dachte

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