Splitterherz
Nacken des Tieres, während Blut glitzernd in das taunasse Gras sickerte.
Nun befiel es auch mich, urplötzlich und gnadenlos, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich versuchte, die Bilder wegzudrücken, auszusperren, doch sie streiften übermächtig mein Gehirn - blökende Kälber dicht vor mir, der warme Atem einer Kuh, die ich von hinten mit meinen Vorderläufen umklammert hielt, süßes Gras zwischen meinen mahlenden Kiefern.
Colin hob den Kopf und zog witternd die Luft ein. Gespenstisch langsam drehte er sich zu uns um. Seine Augen glühten lodernd auf. Er sah mich. Ich packte Tillmann hart an der Schulter.
»Wir müssen hier abhauen, schnell! Schnell!«
Ich klang so verängstigt, dass er sofort gehorchte. Bitte, Colin, bitte tu uns nichts, bettelte ich stumm. Ich robbte flach auf den Boden gepresst vorwärts, bis wir das Unterholz hinter uns gelassen hatten und uns aufrichten konnten. Dann rannte ich blindlings in den Wald hinein, ganz egal, wohin, nur fort von Colin und dem Bullen, dessen verblassende Traumbilder noch immer durch meinen Kopf rasten. Mehrere Male fiel ich auf alle viere und vergewisserte mich beim Aufrappeln mit einem schnellen Blick nach hinten, dass Tillmann mir folgte.
»Ellie«, keuchte er und deutete auf seine Brust.
»Nicht stehen bleiben! Komm!«, herrschte ich ihn an und stürmte weiter. Meine Füße traten ins Leere. Zweige zerkratzten mein Gesicht, als ich nach vorne geschleudert wurde und mich in hohem Bogen überschlug. Schützend hob ich die Arme vor die Augen und machte mich rund. Noch einmal wirbelte ich um meine eigene Achse, wieder - und wieder. Dann bohrte sich ein spitzer Zweig zwischen meine Rippen. Ich heulte vor Schmerz auf. Mit einem dumpfen Krachen schlug ich auf dem Grund auf und schlagartig war mein Oberkörper klitschnass. Panisch berührte ich mein T-Shirt. Das Blut sprudelte fast fröhlich plätschernd über meine Haut. Der Ast musste eine Arterie getroffen haben. Ich verblutete. Oh Gott, ich verblutete ...
Tillmann prallte schwer gegen meinen Rücken, gefolgt von Steinen und Erdklumpen, die in staubigen Kaskaden über uns hinwegrauschten. Doch es tat nicht weh. Und atmen konnte ich auch. Ich kämpfte mich stöhnend hoch. Unter mir gluckerte es leise und ich war wieder in der Lage, zwischen heiß und kalt zu unterscheiden. Blut war warm. Das hier aber hatte allerhöchstens fünf Grad.
»Gott sei Dank«, seufzte ich. Wir waren am Ufer eines schmalen Bachs gelandet. Ich tastete mich rasch ab. »Tillmann? Alles okay mit dir?«
Er sah mich mit panisch aufgerissenen Augen an und sagte nichts. Sein Atem begann zu rasseln. Wieder deutete er auf seine Brust. Dann hustete er - ein Husten, als würde jemand mit aller Gewalt seine Lunge zusammenpressen, bis kein winziges Atom Sauerstoff mehr übrig blieb.
»Scheiße, verdammte Scheiße«, fluchte ich und suchte mit den Fingern nach seinem Puls, während ich mein Ohr an seine Brust drückte. Sein Herz raste. Und sein Atem klang schlichtweg grauenhaft.
»Ellie«, brachte er schwitzend hervor und blickte mich wild an. »Geh - von - mir - runter!«
»Wo ist dein Spray? Wo hast du dein Spray?« Ich fuhr mit den Händen in seine Hosentaschen, dann in die Taschen seines Pullovers. Sie waren leer. Erneut schüttelte ihn ein Hustenanfall, doch es gelang ihm nicht, frische Luft einzuatmen. Rücksichtslos rollte ich seinen Körper zur Seite und suchte den Boden darunter ab. Wieder nichts. Ich tauchte meine Arme in das eisige Wasser des Bachs und schob Schlamm und Steine beiseite. Das Spray musste hier irgendwo sein. Wenn er es aber schon beim Sturz den Abhang hinunter verloren hatte, dann ... Da - ich fühlte eine kleine metallene Hülse, die unter einem Ast festklemmte. Schimpfend zerrte ich an dem Ast, bis der Metallbehälter freikam. Bevor er davonschwimmen konnte, warf ich mich bäuchlings in den Bach, fischte ihn heraus und drehte Tillmann auf den Rücken.
»Hier, und wag es ja nicht zu sterben!«, schrie ich ihn an und hielt ihm das Spray an den Mund. »Jetzt«, befahl ich und drückte ab. Ein Zittern durchlief seine Brust. Ich drückte noch einmal. Zischend atmete er aus. Und ein. Und aus.
Ich ließ mich fallen und starrte nach oben in die Tannenspitzen. Colin, wenn du nur ein Fünkchen Ehre in dir hast, dann nutze das jetzt nicht aus. Im Liegen wrang ich das eisige Wasser aus meinem Shirt. Dann stand ich auf und ging ein paar Schritte zur Seite, um Tillmann ungestört zu sich kommen zu
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