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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Stein, der fast anklagend in der Mitte des Teppichs lag. Ein flacher Ziegel, um den jemand eine Karte ge­bunden hatte. »Nein«, flüsterte ich. Leise schluchzend löste ich den Bindfaden, obwohl ich schon ahnte, was mich erwartete. Trotzdem brannten meine Wangen heiß, als ich die Karte umdrehte.
    Sie war mir noch viel unheimlicher als die andere. Das Bild be­stand nur aus schiefen, schwindelerregend hohen und aufeinander zustürzenden Türmen, eingefärbt in einem organischen Misch­masch aus Rot- und Orangetönen, als hätte der Maler seine Pinsel in Blut getaucht. Jetzt ging mir mein eigenes hysterisches Geschluchze auf den Keks. Ich stellte mich auf die Fensterbank und starrte in die Schwärze der Nacht.
    »Ich finde das nicht mehr lustig!«, rief ich laut. Hallten da nicht Schritte? Doch als ich die Haustür öffnete - wie ein Schlossherr mit dem schweren Kerzenleuchter in der Hand -, lag die vom Regen überspülte Straße leer vor mir und ich hörte nur das gurgelnde Rauschen der übervollen Abwasserkanäle.
    Ich schloss die Tür zweimal ab und schob den Riegel vor. Mehr konnte ich nicht tun und ich musste dringend etwas essen, um zu Kräften zu kommen. Doch es dauerte, bis ich die Nerven besaß, den Kühlschrank zu öffnen und mir eine schlaffe Scheibe Toast mit et­was Käse und Salami zu belegen. Vergangene Nacht wollte ich we­nigstens begehrt sterben. Und diese Nacht wenigstens satt. Appetit­los mümmelnd hockte ich auf dem Sofa, und je länger ich saß und mich nicht bewegte, desto größer wurde die Angst vor den anderen Räumen des Hauses. Vor dem, was draußen war, in dieser stock­dunklen Nacht ohne Mond und Sterne. Ich dachte, wenn ich mich nur ein Stückchen bewege oder aufstehe, passiert wieder irgend­etwas Schlimmes. Wenn ich nichts tue, überlebe ich.
    Meine Muskeln begannen sich zu verkrampfen, aber ich blieb sitzen, bis es endlich dämmerte. Gegen fünf Uhr sprang im Flur das Licht an und der Kühlschrank fing geschäftig an zu summen. Eine wunderbare Melodie. Noch schöner war es, als ich draußen unseren Nachbarn von schräg gegenüber sah, wie er die Zeitungen austrug. Es war doch absolut herrlich, etwas ganz Normales in den Brief­kasten geworfen zu bekommen und keine grässlichen Schicksals­karten. Dann verfärbten sich die verschwindenden Wolken im Os­ten tiefrosa und ich wickelte mir die Decke um Beine, Bauch und Schultern, ließ meinen übermüdeten Kopf auf das Kissen sinken und gab mich endlich dem Schlaf hin, der schon seit Stunden an mir gerüttelt hatte.
    Ich lebte immer noch.
     

    Handgreiflichkeiten
     
    Vorsichtig zog ich die Haustür hinter mir zu. Es war später Nach­mittag, ich lebte, ich war satt und vor meinen Augen breitete sich eine geradezu kitschige Sommeridylle aus. Den ganzen Tag schon wehte ein beständiger Wind, mal kühl, mal liebkosend warm, und hielt alles in Bewegung. Die Blätter der Eiche rauschten und pastellfarbene Blüten stoben in duftenden Wolken durch die Luft. An sol­chen Sommertagen hatten wir früher im Odenwald die Picknick­tasche gepackt und waren an den Baggersee gefahren, wo wir stundenlang im seichten Wasser planschten und uns danach den Bauch mit Capri-Sonne und Omas Kuchen vollschlugen.
    Doch ich war auf dem Weg zu Colin und ich wusste nicht, was mich erwartete. Bisher hatte er sich nicht gezeigt und er hatte sich immerhin ganze anderthalb Tage lang nicht gerächt. Deshalb pfleg­te ich die berechtigte Hoffnung, dass mir eventuell gar nichts pas­sieren würde. Aber es war eben nur eine Hoffnung, mehr nicht. Und so hatte ich gerade eine halbe Stunde lang mit Tränen in den Augen und einem leeren Blatt Papier vor mir am Tisch gesessen und mir das Hirn zermartert, was ich meinen Eltern als Nachricht hinterlas­sen könnte. Doch egal, wie ich formulierte und argumentierte und begründete - die passenden Worte fand ich nicht. Die gab es wohl für diese Situation nicht.
    Irgendwann beschloss ich, dass ich einfach überleben musste. Schützen konnte ich mich nicht. Colin war das personifizierte Funk­

    loch, mein Handy brauchte ich gar nicht erst mitzunehmen. Eine Waffe besaß ich nicht - ganz zu schweigen davon, dass Colin mir haushoch überlegen war, was immer ich auch tat. Vermutlich konn­te man ihn mit Schüssen durchsieben und er würde einem immer noch lässig grinsend und sehr untot gegenüberstehen.
    Deshalb gab es nur eine Möglichkeit - nämlich an das Überleben zu glauben. Daran, dass ich mich nicht getäuscht hatte, als ich

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