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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich. Omas Truhe. Der Anrufer - hatte er etwas mit Papas Nebenjob im Dienste der Nachtmahre zu tun? Diesem Job, über den mir Colin eigentlich längst mehr erzählen wollte? Ich musste noch einmal runter in den Keller. Die Chance, dass ich den Safe öffnen konnte, war zwar denkbar gering, aber ich wollte es nicht unversucht lassen. Jetzt hatte ich schließlich alle Zeit der Welt dafür.
    Bevor ich die Treppe hinuntertapste, suchte ich kurz die Decke und die Wände ab. Die Myriaden an Spinnweben waren alarmie­rend, aber ihre Bewohner konnte ich nicht entdecken. Wahrschein­lich hatten sie sich in die Mauerfugen verkrochen. Hauptsache, sie fielen mir nicht in den Nacken. Ich tapste hinunter und hatte gerade die schwankende Glühbirne angeknipst, als es so hell wurde, dass ich mir die Hand vor die Augen schlug. Der Donner krachte zeitgleich. Mit einem schrillen Pling zerbarst die Glühbirne und Scher­bensplitter trafen mich am Kopf und an meinem nackten Unter­arm. Es roch verbrannt, aber ich konnte in der Dunkelheit weder Flammen noch ein Glimmen erkennen.
    Ich tastete mich zurück in den Flur, doch auch hier: tiefschwarze Finsternis. Schwer atmend wartete ich, bis ich die Umrisse des Raums erkennen konnte. Was, bitte, war denn das?, dachte ich, in­zwischen eher zornig als ängstlich. Ein verirrtes Mikrogewitter? Denn nun blitzte es zwar wieder, doch der Donner ließ sich Zeit. Von ferne ertönte die Sirene der Feuerwehr - weit weg, aber ein angenehm zivilisiertes Geräusch. Vermutlich ein vollgelaufener Kel­ler oder ein Blitzeinschlag. Hier jedenfalls brannte nichts und tro­cken war es auch.
    Ohne nach der Taschenlampe zu suchen, ging ich zurück in den Kellerraum und lief auf die Truhe zu. Blind fasste ich nach vorne, um das Zahlenschloss zu angeln. Doch zu meiner Überraschung stand die Truhe weit offen. Sie war leer. Der Safe war nicht mehr da.
    Jetzt suchte ich doch nach der Taschenlampe. Der Safe war weg? Hatte Papa ihn fortgeschafft? Oder hatte er ihn am Ende in den Ur­laub mitgenommen? Warum denn das - er war sich doch offen­sichtlich sehr, sehr sicher gewesen, dass ich mit Jenny und Nicole nach Ibiza fahren würde. Wunschdenken, Papa, dachte ich bitter. Endlich fand ich die Taschenlampe und suchte den Raum gründlich ab. Nein, kein Safe. Auch in der Waschküche nicht. Heizungskeller: ebenfalls Fehlanzeige.
    Ich rechnete nicht damit, oben irgendetwas zu finden. Nichtsdestotrotz leuchtete ich auch noch einmal in Mamas und Papas Schlaf­zimmer. Sie hatten es mustergültig hinterlassen. Die Tagesdecke über dem Bett hatte nicht eine Falte, die Schubladen waren alle zu­geschoben, die Schränke geschlossen. Der Boden glänzte blitzsau­ber.
    Ich kam mir wie ein Störenfried vor, als ich mich auf das Bett setzte und das Foto von Mamas Nachttisch in die Hand nahm. Das Hochzeitsbild meiner Eltern. Papa vor seinem Befall ... Schon da­mals strahlten seine Augen und das Haar trug er länger, als es die meisten Männer taten. Er war bereits zu diesem Zeitpunkt alles an­dere als durchschnittlich gewesen, fand ich. Mama aber auch. Ihre haselnussbraunen Locken kringelten sich bis zum Rücken und sie hatte auf Make-up verzichtet - nichts als natürliche Bräune in ih­rem runden Gesicht. Es stand ihr hervorragend. Das Hochzeitskleid war ihr wie auf den Leib geschneidert. Mit Sicherheit hatte sie es selbst genäht. Ich bekam ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken daran, dass ich ihr irgendwann untersagt hatte, mir weiterhin Kla­motten zu nähen. Ich hatte mich dafür geschämt, dass nie irgend­welche Markenschildchen an meinen Shirts und Hosen geprangt hatten. Und nicht selten war ich deshalb aufgezogen worden. Dabei hatte es diese Kleider ganz bestimmt kein zweites Mal gegeben, während die anderen hordenweise in den gleichen Levis herum­rannten.
    Ehrfürchtig stellte ich das Foto zurück. Die Nacht senkte sich über das Dorf. Nicht einmal die Straßenlampen funktionierten. Kein Mond am Himmel, kein einziger Stern. Ich blickte mühsam atmend in die immer dunkler werdende Welt vor dem Fenster. Wenn we­nigstens Mister X hier gewesen wäre. Sein warmer, pelziger Körper auf meinem Schoß - und schon hätte ich mich besser gefühlt.
    Aus dem Wohnzimmer ertönte ein dumpfer Aufprall, als wäre et­was Schweres auf den Boden geplumpst. War das etwa Mister X? Schaffte es dieses Mistvieh tatsächlich, sich durch ein Sprossenfens­ter zu zwängen? Ich hastete durch den Flur. Doch es war kein schwarzer Kater. Es war ein

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