Splitterherz
tat so etwas Ähnliches wie schlafen. Hätte er mir nicht geschrieben, dass Schlaf nichts für ihn sei, wäre ich davon ausgegangen, dass er sich ihm willenlos hingegeben hatte. Nicht einmal ein Baby schlummerte friedlicher.
Er lag auf dem Rücken, die Arme lässig ausgebreitet, das rechte Bein gestreckt, das linke leicht angewinkelt. Dunkel zeichneten sich seine rebellischen Haare von dem hellgrauen Kopfkissen ab, das er sich unter den Nacken geschoben hatte. Ich musste zweimal hinsehen, bis ich mir sicher war, mich nicht geirrt zu haben - doch es war keine Sinnestäuschung: Selbst jetzt bewegten sich seine Haarspitzen ganz langsam, fast wie in Zeitlupe, hin und her. Ansonsten war Colin die pure Regungslosigkeit.
Auf Zehenspitzen trat ich näher. Himmel, sah dieser Mann schön aus. Da dicht belaubte Bäume vor dem Fenster standen, drang kein direktes Sonnenlicht ins Zimmer. Doch die Helligkeit genügte, um kupferne Strähnen in Colins Haare zu zeichnen und rostrote Punkte auf seinem Gesicht tanzen zu lassen. Ich konnte dabei zusehen, wie sie blasser wurden, zeitgleich mit dem trägen Sinken der Abendsonne. Seine langen, gebogenen Wimpern waren bereits dunkel.
Minutenlang stand ich neben dem Bett und schaute versonnen auf dieses Stillleben. Obwohl sich meine Augen kaum daran satt trinken konnten, beunruhigte mich die Situation. War Colin tatsächlich hier? Bis auf seine Haare hatte sich sein Körper nicht einen Millimeter bewegt.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, legte ich die Tarotkarten auf dem Boden ab und setzte mich behutsam auf den Bettrand. Mister X öffnete ein Auge und blinzelte kurz. Dann seufzte er tief und bohrte seinen Kopf noch tiefer in Colins Achselhöhle. Colin hingegen regte sich nicht.
Besorgt starrte ich auf seinen Oberkörper. Sein Hemd stand wieder offen. Ich sah, dass zwei Knöpfe fehlten. Und darunter trug er genau gar nichts. Nein, seine Brust hob und senkte sich nicht. Ich vergaß meine Zurückhaltung und beugte den Kopf, um mein Ohr auf seine Brust zu legen. Sofort vernahm ich ein pulsierendes, energetisches Rauschen. Kein Herzklopfen, sondern ein rhythmisches Rauschen. Wo war das Herz? Er musste doch ein Herz haben.
Dennoch - dieser Körper hier lebte. Colin selbst aber war offensichtlich abwesend. Denn spätestens jetzt hätte er reagieren müssen. Wahrscheinlich hatte er sich von seinem Körper entfernt und nutzte die Schwerelosigkeit, um - ja, um was? Unsichtbar durch den Wald zu jagen und Träume zu trinken?
Ich blickte auf den Hufabdruck unterhalb seines Bauchnabels, in den mein Schmerz übergegangen war. Colin hatte kein Gramm Fett auf den Rippen. Das war also ein Sixpack, stellte ich nachdenklich fest. Ein kleines, dezentes Sixpack. Keine Muskelberge. Nein, das hatte er sich nicht künstlich antrainiert. Das hatte sich mit den Jahren, diesen vielen, vielen Jahren, von allein entwickelt. Weiß und samtig spannte sich die Haut über die zarten Wölbungen.
Ich pustete sacht gegen seinen Hemdkragen, sodass der ausgewaschene, dünne Stoff zur Seite rutschte und Colins Brust freigab. Elegant bogen sich seine Schlüsselbeine und den sehnigen Schultern war die harte Arbeit anzusehen, die Colin hin und wieder verrichtete.
Aber er hatte kein einziges Haar auf der Brust. Mit meinen Lippen berührte ich seine Haut. Sie war kühl und ich mochte es. Wie konnte das sein - so dichtes, bewegtes Haar auf dem Kopf und ein völlig haarloser Männerkörper? Rasierte er sich etwa, wie es einige meiner Klassenkameraden in Köln getan hatten?
Ich rutschte ans Fußende und lupfte Colins Hosensaum an. Ei der Daus. Auch hier keine Haare. Wie ich war er barfuß. Kritisch hielt ich inne. Ich war mit Nicole und Jenny fast jede Woche in der Sauna gewesen. Spätestens nach dem dritten Besuch hatte ich mich keinen Illusionen mehr über die körperliche Beschaffenheit des deutschen Durchschnittsmannes hingegeben und dessen größte Schwachstelle war unzweifelhaft die Fußpflege. Deshalb überlegte ich mir gut, ob ich wirklich einen genaueren Blick auf Colins Füße werfen wollte. Tessa nämlich hatte nicht nur Haare, sondern einen ganzen Pelz auf den Fußrücken gehabt. Doch meine Neugierde siegte.
Es waren die Füße eines jungen Gottes. Gerade, lange Zehen, saubere Samthaut und eine Fußsohle, die zum Laufen geschaffen worden war. Ich rutschte wieder hoch zu seinem Oberkörper und überprüfte kurz sein Gesicht. Er lag immer noch exakt so da wie vorhin. Sein Mund
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