Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
sterben konnten, lebte Tessa noch.
    »Doch«, sagte er kalt. »Eine Möglichkeit gibt es. Aber sie kommt für mich nicht infrage.« Und für Tessa? Kam sie auch für Tessa nicht infrage?
    »Wie sieht sie aus?«, bohrte ich weiter.
    Abrupt stand er auf. Das Rauschen in seinem Körper wurde mächtiger. Nicht mehr lange und die Situation würde außer Kon­trolle geraten. Wieder raschelte es im Unterholz.
    »Ellie ...«, sagte er verträumt. »Da draußen sind Hirsche. Ich muss etwas essen. Du solltest...«
    »Ja, ich sollte gehen, ich weiß. Wie immer.« Ich erhob mich. Meine Nacht war noch nicht zu Ende. Ich musste mich auf die Lauer legen. »Ich finde allein nach Hause.«
    Weiter mit Colin zu reden, hatte nicht viel Sinn. Seine Gedanken waren nicht mehr hier. Ohne ein weiteres Wort machte ich mich auf den Weg. Doch als ich das Tor hinter mir gelassen hatte, stand er plötzlich dicht vor mir. Seine Augen funkelten. Er trat in das schwa­che Licht, das tausend Sterne über uns durch die Waldwipfel schick­ten, und das betörende Aroma seiner Haut entfachte sich zu einem Duft, in den ich kopfüber eintauchen und in dem ich mein Leben lang baden wollte. Nur mühsam hielt ich mein Gleichgewicht.
    »Noch eines wollte ich dir sagen, Ellie.« Er sprach wieder Gälisch und doch verstand ich jedes Wort. Nun war sein Gesicht ganz nah. Wie ein zärtlicher Windhauch streifte sein Flüstern mein Ohr.
    »Du bist für mich keine normale Menschenfrau.«
    Ich wollte meine Arme um seinen Hals schlingen, doch ich griff ins Leere. Fern hörte ich einen kehligen, tiefen Schrei - den Schrei eines Tieres. Zweige zerbrachen und etwas Schweres krachte dumpf zu Boden.
    Colin trank.
    Mit fliegenden Schritten, schnell und geschmeidig, rannte ich nach Hause.
    Niemand würde sterben. Ich nicht, Colin nicht, Tillmann nicht - und Papa auch nicht.

    Die Liebenden
     
    Lustlos goss ich mir meine vierte Tasse schwarzen Kaffee ein. Mein Magen rumorte von dem vielen Koffein und meine Finger wurden zittrig, doch ich musste noch einige Stunden wach bleiben.
    Der Ritt auf Louis schmerzte in meinen Muskeln, als ich erneut auf meinen Schreibtisch kletterte. Von hier aus hatte ich den besten Blick nach unten und Papas Opernglas half mir beim Spähen. Es kostete mich Überwindung, meine Gedanken auf mein Vorhaben zu fokussieren und meine vor Müdigkeit juckenden Augen scharf zu stellen. Zu sehr ging mir das nach, was Colin mir über meinen Vater erzählt hatte. Papa als Diplomat zwischen Menschen und Traumräubern - das war auf der einen Seite sehr aufregend und auch ein bisschen romantisch. Auf der anderen Seite ging er damit das unübersehbare Risiko ein, in seine eigene Klinik eingeliefert oder gar getötet zu werden.
    Ich schaute auf die Uhr. Zwanzig nach vier. Nicht mehr lang und es würde hell werden. Ich hoffte inständig, dass der geheimnisvolle Tarotkartenbote sich bald blicken ließ. Ich fühlte mich so zerschla­gen, dass ich nicht einmal das Verlangen hatte, etwas zu essen, ob­wohl der Hunger mit spitzen Klauen in meinem Magen wütete. Aber das Kauen und Schlucken erschien mir zu anstrengend und an einen Gang in die Küche wollte ich gar nicht erst denken.
    Doch plötzlich waren alle Schmerzen auf einen Schlag vergessen. Hastig griff ich nach dem Opernglas und stellte es scharf. Es steuerte tatsächlich jemand auf unser Haus zu. Einsam und allein und nicht größer als ein Meter sechzig.
    »Dachte ich es mir doch!«, zischte ich triumphierend. Ohne Licht zu machen, sprang ich vom Schreibtisch und sprintete durch das Treppenhaus. Ich tastete mich zur Wintergartentür und schlich rasch über den Hof zur Straßenseite. Er kam von oberhalb des Grundstücks, ich pirschte mich von unten heran.
    Nun hatte er den Vorgarten erreicht, blieb stehen und schaute sich um - ganz offensichtlich auf der Suche nach einer kreativen Möglichkeit, die dritte und letzte Karte einzuwerfen.
    Ich drückte mich eng an die Wand, schob mich um die Ecke und hechtete mit einer einzigen gleitenden Bewegung in die schmale Höhle zwischen dem dichten Rhododendronbusch und der Haus­front. Ich hätte mir selbst auf die Schulter klopfen können vor Ge­nugtuung, als ich sah, dass mein Kartenbote den Windfang ansteu­erte. Karte vor die Tür legen, klingeln und abhauen fehlte nämlich noch in seinem Horrorrepertoire.
    Auf allen vieren kroch ich über die weiche Erde und begab mich wie ein Hundertmeterläufer auf Startposition.
    Sobald sein Schatten neben mir auftauchte, stieß ich

Weitere Kostenlose Bücher