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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schlechten Er­innerungen, ihre Flashbacks und Albträume aufzusaugen. Doch wenn es nicht gelingt...«
    Ich wollte es mir nicht ausmalen. Konnte Papa sich nicht ein ganz normales Hobby zulegen? Angeln vielleicht? Oder Briefmarken sammeln? Doch ich musste plötzlich an seine Tagebucheinträge denken und an all die Absageschreiben, die er trotz seines hervor­ragenden Abschlusses erhalten hatte. Der Befall hatte seine Karriere beeinflusst. Wahrscheinlich steckte hinter seinen Plänen nicht nur sein leidenschaftlicher Forschergeist, sondern auch der Wunsch, den Spieß wieder umzudrehen. Und das konnte ich verstehen.
    »Diese Konferenz meines Vaters auf der Zugspitze, von der du wusstest - was hatte es denn damit auf sich?«, fragte ich.
    »Es war wohl keine Konferenz. Eher eine Begegnung. Ich habe vor Jahren gehört, dass da oben einer lebt. Einer von den Alten.«
    »Auf der Zugspitze?«, vergewisserte ich mich ungläubig.
    »Nachtmahre leben gerne an extremen Orten mit gutem Touris­muspotenzial. Frische Beute wird da von ganz alleine herangekarrt - und meistens schmecken Urlauberträume besser als die der arbeiten­den Bevölkerung. Gleichzeitig gibt es gute Rückzugsmöglichkeiten in der Natur. Eine oberflächliche Welt eben, bei der keiner genau auf den anderen achtet«, erklärte Colin mit kaum zu überhörendem Ab­scheu in der Stimme.
    »Und woher wusstest du von der Begegnung?«, hakte ich nach.
    »Ich wusste es nicht«, gestand er grinsend. Seine Augen loderten. »Du hast es mir eben verraten. Ich habe nur gespürt, dass dein Vater weg ist, nachdem ich mich auf seine Energiefelder eingependelt hat­te. Das ist alles.« Wieder einmal wurde mir bei dem Gedanken an Colins Fähigkeiten etwas unbehaglich zumute. Energiefelder aus­pendeln. Puh.
    »Energiefelder. Genau. Warum hast du meinen Vater eigentlich erst so spät bemerkt? Du hättest ihn doch wittern müssen.«
    Colin schnaubte, halb bewundernd, halb abschätzig. »Er schirmt sich ab. Euer Haus liegt in einer Senke und ist zugewuchert mit Wein und Nachtschattenpflanzen. Und er besitzt Orchideen, oder?«
    »Ja«, rief ich erstaunt. »Aber was hat das damit zu tun?«
    »In einigen der Nachtschattengewächse befinden sich Substanzen, die die Träume der Menschen beeinflussen können. Sie werden un­rein und künstlich und deshalb fallen Menschen mit zu vielen dieser Gewächse um sich herum aus unserem Radar. Ich glaubte manch­mal, etwas zu wittern, und war mir nicht sicher, aber nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass er hier ist. Außerdem war er nie da, wenn ich dich heimgebracht habe, oder?«
    Ich nickte nachdenklich.
    »Na ja, und die Orchideen - es sind keine normalen Orchideen. Es sind Duftorchideen, nicht wahr? Er macht anscheinend keine halben Sachen. Aber selbst sanfte, für euch kaum wahrnehmbare Gerüche stören eure Träume und lassen euren Schlaf flach und un­ruhig werden. Wir hassen Orchideen.«
    Ich seufzte. »Ich mag sie auch nicht. Ich fand das außerdem im­mer irgendwie - schwul. Papa und seine Orchideen im Büro. Und sogar im Schlafzimmer. Aber wieso hast du ihn denn nicht in Ried­dorf bemerkt?«
    »Die Klinik - zu viele kranke, traumlose Seelen. Sie stören unsere Instinkte. Er ist dort wirklich sehr sicher und kann unbehelligt for­schen.«
    »Und wie hast du dann mich - geortet? Das hast du doch, oder?«
    Colins Blick wurde für einen Moment weich. »Du hast es mir leicht gemacht. Ein Dachzimmer weit über dem Garten, keine Blu­men, kaum Wein. Deine Seele fand ich sofort. Du warst kaum ange­kommen, da erahnte ich sie schon. Aber deine Eltern - wenig Schlaf, wenig Träume, abgeschirmt. Sie blieben diffus. Und uninteressant.«
    Einen beklemmenden Augenblick lang dachte ich an Mama. We­nig Schlaf, wenig Träume. Wahrscheinlich schlief sie wirklich nur noch tief und fest, wenn Papa auf einer seiner Konferenzen war.
    »Der Anrufer bei uns«, sagte ich schnell, denn Colin wurde immer bleicher. Die Schatten unter seinen Augen zogen sich bereits bis zu den Schläfen. »Wer kann das gewesen sein? Was wollte er wohl?«
    »Ich kann mir vorstellen, dass dein Vater sich nach mir erkundigt hat. Möglicherweise ein Informant. Nachrichten sind bei uns oft Wochen unterwegs. Aber irgendwann erreichen sie den anderen.«
    »Um noch einmal auf die Sache mit dem Tod zurückzukommen.« Es ließ mir ja doch keine Ruhe. »Könnt ihr denn gar nicht ster­ben?«
    Colin presste die Lippen zusammen. Vielleicht dachte er das Glei­che wie ich. Wenn Mahre nicht

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