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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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verwegen.
    »Okay, wo waren wir?«, fragte er zerstreut. Unwillig löste ich mei­ne Augen von seinem blanken Nacken und versuchte mich zu sam­meln.
    »Die alten Mahre. Papa als Vermittler. Traumkollaps der Moder­ne«, half ich ihm nach einigen stillen Atemzügen auf die Sprünge.
    »Richtig. Du kannst dir vorstellen, dass den meisten Nachtmah­ren nicht gefällt, was dein Vater vorhat. Sie fühlen sich ausspioniert und sie haben Angst, eingesperrt zu werden. Verständlicherweise - wir brauchen absolute Freiheit. Das ist das Wichtigste für uns. Al­lerdings soll es auch einige geben, die zur Kooperation bereit sind. Sie wollen wissen, warum sic sind, was sie sind. Sie bauen darauf, dass dein Vater es herausfindet und sie heilt. Damit sie endlich ster­ben können. Wie ihr Menschen.«
    Wir Menschen. Mir gefiel nicht, wie Colin auf einmal so deutlich unterschied. Ob er auch sterben wollte? Sein Mund bekam einen bitteren Zug.
    »Wenn ich irgendetwas gut finde an seinen Plänen, dann ist es das. Etwas zu finden, was uns sterben lässt.«
    Ich fühlte mich elend. Vorbei war der Rausch, den ich in Gedan­ken an unsere kurze Körperlosigkeit draußen auf dem Feld emp­funden hatte. Colin wollte sterben. Seine Worte lagen wie Bleige­wichte in meinem Magen. Mit seinem Tod sollte er sich gefälligst Zeit lassen. Auf ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an.
    »Und alles andere findest du nicht gut?«, fragte ich. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, meinen Vater zu verteidigen.
    »Die Gedanken dahinter - ja, vielleicht«, erwiderte Colin. »Aber er hat einen Krieg angezettelt. Die Mahre bekämpfen sich gegensei­tig. Die Alten wollen weiterhin unter sich bleiben und ungestört rauben. Und dann sind da die wenigen, aber mächtigen Revoluzzer, die einen Rest Menschsein bewahrt haben und deinem Vater ver­trauen. Es gibt durchaus faszinierende, geschliffene und hochintel­ligente Persönlichkeiten unter den Mahren. Daher sind sie umso gefährlicher für die Menschen. Dein Vater ...« Colin brach grübelnd ab.
    »Was?«, fragte ich drängend. »Was ist mit ihm?« Colin schaute mich ernst an. Viel zu ernst für meinen Geschmack.
    »Ich habe dir mal gesagt, dass er sehr alt werden kann. Älter als andere Menschen. Ja, das stimmt. Die Möglichkeit besteht. Ich glau­be aber nicht, dass sie eintrifft. Er befindet sich zwischen den Fron­ten. Und Vertrauen zu Mahren zu fassen, wie er es teilweise tut - nun, das ist, als wolle man mit entsicherten Atomsprengköpfen Domino spielen.«
    Mir wich das Blut aus dem Gesicht. Sofort musste ich an den An­rufer denken. War es einer der Alten gewesen? Wenn ja, musste er zu den Revoluzzern gehören. Denn er hatte sich mit der Moderne ar­rangiert und zu einem Telefon gegriffen. Oder hatte er sich verstellt und war hinter meinem Vater her?
    »Ob er seinen Mitstreitern vertrauen kann oder nicht - er hat po­tenzielle Feinde auf allen Seiten. Auch auf der Seite der Menschen. Denn was würde passieren, wenn er den entscheidenden Schritt geht und die Menschen wissen lässt, dass es uns gibt...«
    »Sie würden ihn für verrückt erklären«, vollendete ich Colins Ge­danken.
    »Nicht nur das. Ihr geht davon aus, dass ihr allein seid. Ihr fanta­siert zwar gerne herum, Vampire, Elfen, Trolle, Zauberer, Hexen - eine beachtliche Palette. Nette Spielereien, um zumindest gedank­lich den Tod umgehen zu können. Aber wenn herauskommen würde, dass es tatsächlich noch andere menschenähnliche Wesen mit ungeahnten Kräften gibt, Wesen, die nicht sterben können, wird das euer komplettes Weltbild ins Wanken bringen. Und es liegt in der Natur des Menschen, darauf mit Abwehr und Aggression zu reagieren. Denk nur an die Inquisition. Heute hat man dafür Ver­wahranstalten.«
    Langsam drang zu mir durch, welch ungeheuerliche Auswir­kungen Papas Plan haben konnte. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Ein Feind der Mahre oder der Menschen zu werden - ein Vater, der im Kampf starb oder in eine Zwangsjacke gesteckt wurde.
    Colin wurde zusehends unruhiger. Seine Haut hatte jegliche Far­be verloren. Ein fiebriges Glänzen lag in seinen Augen. Doch noch war er in Gedanken bei mir.
    »Wenn deinem Vater aber gelingt, was er vorhat, ohne dabei als wahnsinnig abgestempelt zu werden, könntet ihr die Kraft eurer Träume nutzen. Und wir könnten endlich sterben oder uns anders ernähren. So hat er zum Beispiel den Plan, Mahre zu finden, die bereit sind, schwer traumatisierten Menschen ihre

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