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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Ohren presste. Herr Schütz bemerkte es nicht. Seine Augen waren staunend auf die Spinne gerichtet.
    »Das ist ungewöhnlich«, raunte er. »Paarungsverhalten. Sie  möchte sich paaren. Obwohl sie in Gefangenschaft lebt und kein Männ­chen in der Nähe ist. Das ist ja ein Ding.«
    Ich hatte das Gefühl, dass sich etwas in meinem Kopf bewegte und eine andere Sphäre freigab. Dann sah ich die Tarotkarte mit den Liebenden vor mir. Wenn ich wieder von einem der Albträume erwacht war und bei angeknipstem Licht wartete, bis sich mein Herzschlag mäßigte, hatte ich oft die Karten betrachtet. Das, was mir von Tillmann und unserer kurzen Freundschaft geblieben war. Die Mondkarte war mir immer noch ein Rätsel. Die Türme - keine Frage, mein Leben war zwischendurch das pure Chaos gewesen. Ein Chaos, das immer bedrohlicher geworden war. Aber die Liebenden? Sie drängten nach einer Entscheidung, stand in dem Büchlein mei­ner Mutter. Einer schweren Entscheidung, die nicht immer mit dem Kopf gefällt werden konnte.
    Herr Schütz nahm einen kleinen Zweig in seine dünnen Finger und schob vorsichtig den Deckel des Terrariums zur Seite. Wie durch einen Nebel sah ich ihm dabei zu, noch immer die Tarotkarte vor meinen Augen, die sich nun wie ein transparentes Klebebild über das Terrarium und die zitternde Spinne lagerte.
    »Hoppla!«, rief Herr Schütz auf, als die Spinne sich mit einem ag­gressiven Sprung auf das Ästchen stürzte und es ihm aus den Fin­gern riss. Schnell schloss er den Deckel und trat einen Schritt zu­rück. Die Spinne schien zu begreifen, dass der Zweig kein Männchen war, sondern ein billiger Trick. Wütend sauste sie gegen das Glas und zitterte noch stärker.
    »Sie singt. Sie will das Männchen herbeisingen. Sie produziert Töne, die nur Spinnen hören.«
    Nein, dachte ich, ich höre sie auch. Doch ich konnte nicht mehr sprechen. Ich sah die Liebenden im Würgegriff der Spinne. Ihre langen, bebenden Beine hielten sie umfasst; bereit, sie zu vernichten. Drohend berührten ihre Fangarme die Augen des Mannes.
    Ohne ein weiteres Wort stürzte ich an Herrn Schütz und dem müffelnden Bären vorbei aus dem Labor und rannte die Treppe hi­nunter. Nur langsam verblasste das Bild vor meinen Augen.
    Tessa war da. Ich spürte es am ganzen Körper.
    Und ich würde nicht tatenlos zusehen, wie sie mir Colin nahm. Lieber wollte ich umkommen. Während ich keuchend durch den schlammigen Wald rannte, überschlugen sich meine Gedanken. Was sollte ich nur tun? War Colin denn überhaupt noch zu Hause? Doch wenn ich Tessa gespürt hatte - dann spürte er sie wahrschein­lich erst recht. Das Summen in meinem Kopf hielt an. Ich sang laut, um es zu übertönen, damit es mir nicht den Verstand raubte. Denn den brauchte ich.
    Das Problem war, dass ich nicht wusste, wie Tessa sich verhielt. Betrieb sie Mimikry wie Colin? Oder zeigte sie sich Menschen gene­rell nicht, sondern lauerte ihnen nur nachts auf, um ihre Träume zu rauben? Konnte man überhaupt mit ihr reden? Verstand sie meine Sprache?
    Als ich durch Colins Hof lief, hatte ich nur eine wenig überzeu­gende Idee gewonnen. Ich musste mich als die Besitzerin des Hauses ausgeben. Ich musste so tun, als wohnte ich hier. Und wenn sie nach ihm fragte, musste ich sie auf eine falsche Fährte schicken - weit weg. Es war ein alberner Plan, doch besser als gar nichts.
    Mit brennenden Lungen und völlig außer Atem stürzte ich in Co­lins Haus und suchte jedes Zimmer und sogar den Keller nach ihm ab - vergeblich. Er war nicht mehr hier. Die Unordnung im Wohn­zimmer war beseitigt worden. Die Platten standen wieder im Regal, selbst die Bilder hatte Colin in ihre Rahmen gefügt und den Kilt an die Wand gehängt. Doch das Haus wirkte tot und leblos ohne ihn. Selbst die Katzen waren verschwunden. Nur Mister X hockte ver­biestert auf dem Kaminsims und knurrte drohend, als ich mich ihm nähern wollte.
    »Ich bin’s, Hasenzahn«, sagte ich leise und er ließ sich mit geneig­tem Kopf hinter dem Ohr kraulen, ohne mit dem kehligen Knurren aufzuhören. Sein Fell knisterte unter meinen kalten Fingern.
    Als ich ums Haus ging und Louis entdeckte, der mit aufgestellten Ohren und peitschendem Schweif an der Futterkrippe stand, ließ ich mich entmutigt auf den Holzstumpf neben dem Brennholzsta­pel sinken. War Colin schon auf der Flucht, unterwegs zu irgend­einem Hafen, wo er auf einem Schiff anheuern würde, um jahrelang keinen Kontinent mehr zu betreten? Der Schmerz in meiner Schläfe

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