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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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bei diesem Gedanken. Oder gab es gar keine körperliche Vereinigung?
    Obwohl es empfindlich kühl in meinem Zimmer wurde, ließ ich alle Fenster geöffnet, wickelte mir die Decke um den Körper und setzte mich ans Kopfende meines Bettes. Dort wartete ich lauschend und dachte mit pochenden Schläfen nach, bis mein Wecker mich daran erinnerte, dass ich in die Schule musste. Irgendwie passte die Schule nicht mehr in mein Leben. Sie stahl mir Zeit und lenkte mich von dem ab, was wirklich wichtig geworden war.
    Heute war wichtig, eine Unterkunft für Louis zu organisieren. Aul unserem Rasen konnte er nicht bleiben. Er brauchte Auslauf und ordentliches Futter. Ihn zurück zu Colins Haus zu bringen, war erst recht undenkbar. Blieb also nur der Stall von Maikes Großvater - dort, wo Colin ab und zu trainiert hatte. Aber wer würde sich um Louis kümmern? Wer würde nach ihm sehen?
    Schon vor dem Frühstück stand Tillmann vor der Tür.
    »Louis?«, sagte er nur fragend.
    »Ich weiß, wo wir ihn hinbringen. Kannst du ihn bitte führen?« Er nickte, ging in den Garten und machte Louis mit ruhiger Hand vom Zaun los. Mama und Papa schwiegen mich an, als ich ihnen sagte, was wir vorhatten. Mama musterte Tillmann prüfend. Papas Augen hingegen hatten sich in eine Welt zurückgezogen, die für mich nicht mehr erreichbar war.
    Als wir im Stall ankamen, hatte die erste Schulstunde längst be­gonnen und wir waren beide müde und entkräftet. Tillmann sah sehr blass aus. Immer wieder fasste er sich an den Bauch, als sei ihm übel. Meine Finger zeichneten sich als Striemen auf seiner Wange ab und sein rechter Mundwinkel war blutverkrustet. Um mich war es kaum besser bestellt. Das Surren in meinem Kopf war in der Nacht zwar schwächer geworden und ich begann schon, mich daran zu gewöhnen, aber die pochenden Schmerzen in Schläfe, Nacken und Schulter hielten an. Was wir brauchten, war ein heißes Bad, ein paar Aspirin und ein ausgiebiges Frühstück. Was ich wollte, war et­was gänzlich anderes.
    Die Ponys grasten friedlich auf der Weide, doch es war kein Mensch außer uns hier. Louis prustete, als Tillmann ihn wie selbst­verständlich in seine Box am Ende der Stallgasse führte. Ich klemm­te ein paar Geldscheine hinter das Messingschild und hoffte, dass Maikes blinder Großvater sie entdecken würde. Tillmann klopfte Louis zum Abschied den Hals, als habe er nie etwas anderes getan. Ich musste mich überwinden, die Box zu betreten. Dann tat ich es doch und traute mich sogar, Louis eine Möhre zu geben, die er mir sanft aus der Hand klaubte und mit Getöse zerbiss.
    »Kannst du ab und zu nach ihm sehen?«, fragte ich Tillmann. »So lange, bis ...« Ja, bis was? Bis ich irgendwie erfuhr, dass Colin es nicht geschafft hatte? Und dann?
    »Klar«, sagte Tillmann gleichmütig.
    »Und jetzt müssen wir wohl zur Schule«, seufzte ich, obwohl mir das völlig unpassend erschien. Ich konnte doch nicht zur Schule gehen, während Colin da draußen gegen Tessa kämpfte. Tillmann sah mich zweifelnd an. Sein blasses Gesicht verzog sich zu einem frechen Grinsen. Gott sei Dank, Tessa hatte es ihm nicht nehmen können.
    »Ähm - es ist Samstag. Keine Schule.« So weit war es also schon gekommen. Ich wusste nicht einmal mehr, welchen Wochentag wir hatten.
    »Gut«, sagte ich, schlurfte aus dem Stall und lehnte mich an den steinernen Torbogen. Tillmann folgte mir gähnend. Wehmütig berührte ich den dunkelgrün emporwuchernden Efeu und versuchte verzweifelt, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Es fiel mir schwer, denn die Erinnerungen lähmten mich. Hier, genau an dieser Stelle, hatte ich das erste Mal in Colins Gesicht geblickt, nachdem er den Nachtfalter vor den Fängen der Spinne gerettet hatte. Schlagartig vergaß ich meine pochenden Schläfen und schob die Erinnerungen fort. Die Spinne - natürlich, ich musste sehen, was die Spin ne machte. Ich brauchte sie. Die Witwe hatte mir gezeigt, dass Tessa angekommen war, und Tessas Haare und Gewänder hatten vor widerlichem Krabbelgetier gewimmelt. Irgendwie stand sie mit ihnen in Verbindung. Wie, wusste ich nicht, aber vielleicht verriet die Witwe mir auch, wie es um den Kampf bestellt war. Ob Tessa noch lebte. Oder ob ... Ich drehte mich zu Tillmann um, der mit abwesendem Blick auf die Weide starrte.
    »Ich muss noch was erledigen. Mir wäre es lieb, wenn du nicht allein hier rumlungerst. Geh nach Hause und schlaf dich aus.«
    Tillmann verzog genervt den Mund. Stimmt, er mochte Befehle ebenso wenig wie

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