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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wurden, und dort hatte ich mehrfach versucht, eine SMS abzusetzen. Wieder erfolglos natürlich.
    »So. Jetzt reicht’s«, knurrte ich und zwängte mich in meine Stiefe­letten. Ich würde auf der Stelle in dieses verfluchte Dorf fahren, mir Zutritt zur Turnhalle verschaffen und mein Handy suchen. Wenn es tatsächlich eine Vereinsturnhalle war, würde sie geöffnet sein. Und wenn nicht - nun, ich war durchaus in der Stimmung, eine Tür auf­zubrechen. Meinem riesigen Zimmer zum Trotz hatte ich das Ge­fühl, in einem Kerker mit meterdicken Wänden eingesperrt zu sein, abgeschottet und ausgegrenzt vom Rest der Welt. Es machte mich panisch. Keine Minute länger wollte ich tatenlos dabei Zusehen, wie man mich in Köln vergaß, weil ich nicht erreichbar war. Im Eil­schritt nahm ich die Treppe. Mama räumte gerade die Küchen­schränke ein.
    »Ich fahr schnell ins Dorf!«, rief ich und schnappte mir den Schlüssel vom Bord. Der norwegische Troll sah mir giftig dabei zu. »Hab mein Handy in der Turnhalle vergessen.«
    »Okay, ist gut!«, schwebte Mamas Stimme fröhlich durch das Haus. Also immer noch gute Laune. Das war ja wie eine Krankheit.
    Grausame vierzig Minuten später stieg ich aus dem Bus und sah sofort, dass vor der Turnhalle eine Handvoll Jugendlicher herumlungerte. Drei Kaugummi kauende Jungs schlugen sich gegenseitig mit ihren Rucksäcken auf den Hintern und fanden das offensicht­lich entsetzlich komisch. Betont unauffällig schlurfte ich ihnen ent­gegen. Ein zottiger Hund tapste aus einer Hofeinfahrt direkt auf mich zu. Als ich stockte, blieb er ebenfalls stehen und zog die Lefzen hoch. Ein kaum hörbares Knurren ließ seine heraushängende Zun­ge vibrieren.
    »Aus«, sagte ich leise, doch er knurrte weiter. Ich ging zwei Schrit­te rückwärts und schlug einen langsamen Haken um ihn herum. Der Hund ließ mich nicht aus den Augen. Dann stand ich endlich vor der Turnhalle. Die Jugendlichen hatten sich auf die andere Stra­ßenseite verzogen und stürmten krakeelend den Dönerimbiss. Mit dem Ellenbogen versuchte ich, die schwere Tür aufzuschieben. Ab­rupt löste sie sich und der Geruch nach abgestandenem Schweiß, verrottendem Gummi und Magnesia stieg mir in die Nase. Drei schmutzige Neonröhren flimmerten klickend vor sich hin. Gut, es war niemand da.
    Mit klappernden Absätzen rannte ich die Treppe zu den Umklei­dekabinen und der Halle hinunter. Die Vorstellung, mein Handy könne geklaut worden sein, hatte mich schon die gesamte Hinfahrt verfolgt und stimmte mich wütend und ängstlich zugleich. Ich heg­te zwar eine winzige Hoffnung, dass hier auf dem Land nicht ganz so passioniert gestohlen wurde wie in Köln, doch schon beim ersten Blick in unsere Umkleide von heute Morgen schrumpfte sie auf ei­nen jämmerlichen Rest Zweckoptimismus zusammen. Hier war nichts außer zwei zusammengeknüllten Taschentüchern und einem schmuddeligen Handtuch, das schlaff an einem Haken baumelte. Trotzdem robbte ich auf den Knien über den staubigen Boden und lugte unter jede Bank und in jede Duschkabine. Ergebnislos.
    Mit einem entnervten Stöhnen richtete ich mich auf und drückte die Hände ins Kreuz. War ich überhaupt in der richtigen Umkleide­kabine? Umkleiden sahen immer gleich aus und ich hatte seit jeher einen erbärmlichen Orientierungssinn - erst recht innerhalb von Gebäuden. Ich stolperte zurück in den Gang. Irgendwo plätscherte eine Dusche. Ich blieb stehen und lauschte. Das Wasserrauschen kam von rechts. Also stieß ich die linke Tür auf.
    Vor mir lag ein weiterer halbdunkler Umkleideraum. Ich brauchte kein Licht zu machen, um zu sehen, dass ich hier noch nie gewesen war. Es war sinnlos weiterzusuchen. Vielleicht lag mein Handy in der Halle, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, es dorthin mitgenommen zu haben. Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr imstande, auch nur einen weiteren Schritt zu machen. Ermüdet ließ ich mich auf eine Bank neben der Tür fallen und atmete stöhnend aus. Die Schmerzen in meinen Schultern waren so stark geworden, dass ich mich zurücklehnen musste. Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf zur Seite sinken. Irgendetwas neben mir duftete so köstlich, dass ich meine Wange dagegenschmiegte. Es gab nach, woll­te wegrutschen, doch ich hob schlafwandlerisch meine Hände und hielt es fest, um mein verschwitztes Gesicht tief hineinzudrücken.
    Meine Muskeln wurden weich. Ja, sogar die harte Lehne in mei­nem Rücken schien wie Schaumstoff nachzugeben. Mein Handy war

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