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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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eingewöhnen. Aber das eine Mädchen in meinem Französischkurs ist ganz nett.«
    Jetzt lächelte Papa wieder und zuckle gleichzeitig zusammen. Tief ausatmend presste er den Eisbeutel an die Stirn.
    »Siehst du - jemand wie du findet rasch Kontakt, das war mir klar«, sagte er mit rauer Stimme.
    Warum hatte ich dann das Gefühl, er würde seine Worte selbst nicht glauben? Ich hatte noch nie irgendwo rasch Kontakt gefun­den. Und Papa wusste das eigentlich.
    »Okay, Paps, ich muss los. Bis heute Abend!« Ich drückte ihm ei­nen schnellen Kuss auf seine tiefgefrorene Stirn und beeilte mich, den Bus zu kriegen. Zwei Stunden Chemie und zwei Stunden Fran­zösisch - das sollte zu schaffen sein. Ich musste nur darauf achten, Lola und Nadine aus dem Weg zu gehen. Am besten verschwand ich in der Pause wieder in der Toilette.
    Der Bus war angenehm leer. Ich steuerte zielstrebig die hinterste Sitzbank an und lehnte mich ans Fenster. »Huch!«, entfuhr es mir, als meine Hosentasche zu vibrieren begann und lang vermisste Sig­naltöne an mein Ohr drangen. Eine SMS! Mein Handy, es funktio­nierte wieder. Sofort klopfte mein Herz schneller - endlich eine Funkoase und endlich eine Nachricht aus Köln!
    »Hi, Süße, wir kommen dich am Sonntag besuchen, Nicole hat ihren Führerschein bestanden! Vielleicht können wir ins Kino. Die Schule nervt, du verpasst hier nichts. Wir sind um 15 Uhr bei dir! Hdl, Jenny.«
    Hdl. Hab dich lieb. Was für eine bescheuerte Abkürzung, dachte ich und erinnerte mich an mein erstes Hdl, das ich mit äußerstem Widerwillen in die Tasten gehauen hatte. Aber es war eine der Spiel­regeln gewesen.
    Wenn ich jemanden lieb habe und es ihm sagen will, dachte ich träumerisch, während die grüne, sonnige Waldwelt an mir vorüber­glitt, dann kürze ich diese Worte nicht ab. Klar, ich mochte Jenny und Nicole, sehr sogar - wir waren täglich zusammen gewesen. Aber lieb haben? Das war für mich irgendwie mehr als das. Wen hatte ich überhaupt lieb? Mama, Papa. Und Paul. »Ach, Paul«, flüsterte ich. Für einen Atemzug fühlte ich mich vollkommen einsam. Meine Großeltern waren tot. Mit meiner Tante und meinem Onkel hatten wir keinen Kontakt. Irgendwie hatte Mama es fertiggebracht, sich mit beiden Geschwistern auf Lebenszeit zu verkrachen. Papa war Einzelkind. Meine Cousins kannte ich nicht einmal. Warum musste dann auch noch Paul das Weite suchen ... Doch wie immer ver­suchte ich mich mit dem Gedanken zu trösten, dass er spätestens mit zwanzig sowieso gegangen wäre. Vor drei Jahren. Also spielte es keine Rolle mehr.
    Ich konzentrierte mich auf mein Handy. »Oh, ich freu mich!«, tippte ich und löschte es gleich wieder. Das klang so altmodisch. »Oh, wie cooool!« Grinsender Smiley. Schon besser. »Bin grad auf dem Weg zur Schule.« Was noch? »Vermisse euch.« Nein. Löschen. »Miss U.«
    Ich schnaufte tief. Aber wenn sie es geschrieben hatte, musste ich es wohl auch tun. »Hdl, Lassie.« Oh Gott. Lassie. Wie konnte ich mir das nur so lange gefallen lassen?
    Die ersten beiden Schulstunden verliefen ruhig und unspektakulär. Als es klingelte, blätterte ich umständlich in meinen Büchern und Heften, bis niemand mehr außer mir im Raum war. Vom Fenster aus sah ich, dass Lola und Nadine es sich auf den Bänken im Hof bequem machten. Gut, dann hatte ich die Toilette ja für mich. Doch als ich mich aufatmend umdrehte, stand Benni vor mir.
    »Hi, Ellie. Alles okay?«, fragte er mit forschendem Blick.
    »Ja, alles bestens«, erwiderte ich schnell und versuchte, mich an ihm vorbeizudrücken.
    »Lotte meint, dass sie dich gestern gesehen hat!«, rief er mir hin­terher. Ich beschleunigte meine Schritte. »In der Turnhalle!« Oh nein. War ich also doch nicht schnell genug gewesen.
    »Muss ein Irrtum sein! Ich war zu Hause«, log ich und riss die Tür zur Mädchentoilette auf. Knallend ließ ich sie ins Schloss fallen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viel gelogen wie in den letzten paar Tagen. So langsam gewöhnte ich mich daran.
    »Ach ja?« Maike wuselte grinsend aus der Kabine und machte sich im Gehen den Gürtel zu. »He, mir kannst du es ruhig erzählen. Benni meinte, Lotte habe dich gesehen, wie du aus der Herrenumkleide abgehauen bist.«
    Die Buschtrommeln hier auf dem Land funktionierten ja präch­tig. Nachlässig hielt Maike ihre Fingerspitzen unter den Hahn und zog sie wieder weg, bevor das Wasser ihre Hände benetzen konnte.
    »Ich bin nicht abgehauen«, sagte ich würdevoll. »Ich habe

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