Splitterherz
Kaffeerunde zeigte ich den beiden mein Zimmer, was ihnen dann doch einige Begeisterungsschreie entlockte.
»Hey, hier kann man ja richtige Partys feiern! Wahnsinn!«
»Wenn man die Leute dazu hat, sicher«, grummelte ich.
»Hast du denn schon jemanden kennengelernt?« Jenny grinste verschwörerisch. Oh. Nun war das Jungsthema an der Reihe. Ein kritisches Thema, da Nicole erst einige Wochen mit ihrem Tim auseinander war und derzeit alle Männer hasste. Umso mehr wunderte ich mich, dass sie errötete und auffällig unauffällig in meinen CDs zu stöbern begann, die sie sowieso alle auswendig kannte.
»Eigentlich nicht«, wich ich aus.
»Wie sind die Jungs denn hier so? Ein paar coole Typen dabei?«, hakte Jenny neugierig nach.
Hm. Benni war ein Hübscher, sicher, aber mit ihm hatte ich es mir ja nach fünf Minuten vermasselt. Colin war kein Junge. Colin war indiskutabel. Colin war so schwer zu erklären, dass ich es gar nicht erst versuchen wollte. Außerdem war er laut Maike hässlich.
»Ich weiß nicht, bestimmt. Mal sehen.«
Die beiden schlichen in meinem Zimmer umher wie zwei eingesperrte Panther im Zoo. Sie waren hier eindeutig nicht in ihrem natürlichen Umfeld. Gleichzeitig kam auch ich mir vor wie ein seltenes, aber entstelltes Tier, das kritisch begutachtet wurde. Ich tat ihnen leid. Das spürte ich ganz genau.
Nicoles Handy piepste. Sie hatte Empfang? Gemeinheit. Sofort angelte sie es aus ihrer Hosentasche und wieder huschte eine kräftige Portion Rosa über ihre Wangen. Gedankenverloren ließ sie sich auf mein Sofa sinken und drückte fieberhaft auf die Tasten. Fragend blickte ich Jenny an. Unsere Gedankenübertragung funktionierte noch.
»Sie ist wieder verknallt. Vielleicht was Ernstes«, flüsterte sie mir zu.
»Kenne ich ihn?«
»Toby, der aus der 13. Klar kennst du den. Der war doch ein paarmal mit uns weg.«
»Ach, der ...«, sagte ich beiläufig. Genau der. Der Tobias, der mir Getränke ausgegeben hatte, sich bei der einen Taxiheimfahrt an meine Schulter gelehnt hatte, der behauptete, es sei jammerschade, dass ausgerechnet ich wegzog. Nun, es war ihm wohl nicht schwer- gefallen, schnellen Trost zu finden.
Oder hatte ich mir das mit ihm wieder nur eingebildet? Hatte ich die ganze Zeit etwas übersehen? Nicole drückte weiter mit verzücktem Gesicht auf ihrem Handy herum, wobei ihr eine seidige Ponysträhne in die Augen fiel. Während Jenny auf mich einredete und mir exklusive Details verriet, die ich niemals hatte hören wollen, verglich ich Nicole unaufhörlich mit mir. Ja, sie hatte größere Brüste und auch größere Augen. Längere Wimpern. Sie konnte sich besser schminken. Bestimmt auch besser tanzen ...
Ich antwortete Jenny mechanisch und lachte ab und zu, ein Lachen, das mir im ganzen Gesicht wehtat. Endlich hatte Nicole ihre SMS-Session beendet und kam mit erhitzten Wangen zu uns herüber.
»Die Jungs treffen sich heute Abend noch im Millers zum Billard. Er fragt, ob wir auch kommen.« Er. Sag es doch, Nicole, ich weiß es sowieso schon, dachte ich.
»Ja, warum nicht!« Jennys Erleichterung war etwas zu deutlich zu hören. Sofort setzte sie pflichtschuldig nach: »Gehst du auch mit, Lassie?«
Alte Gewohnheit oder ein schwacher Versuch von Humor?
»Und wie komme ich dann zurück nach Hause?«
»Fährt hier kein Zug oder so?«
»Das Schienennetz ist seit den Fünfzigern stillgelegt. Und ein Taxi von Köln nach Kaulenfeld kann ich mir wahrlich nicht leisten.
Außerdem bin ich sehr müde, ich hatte eine anstrengende Woche.« Nach der keine von euch mich gefragt hat, fügte ich in Gedanken vorwurfsvoll hinzu. Zum Abschied - sie mussten gleich weg, weil sie die Jungs sonst verpassen würden, und das ging natürlich gar nicht - gab es wieder Luftküsschen rechts und links, aber meine Umarmungen fielen weniger innig aus. Als das Auto um die Ecke gebogen war, gefror mein Lächeln zu Eis. Ich war wütend und vor allem hatte ich das Gefühl, betrogen worden zu sein.
Eine Woche - eine einzige Woche und ich war von der besten Freundin zur Mitleidsnummer mutiert. Eine nervtötende innere Stimme sagte mir, dass ich das hätte ahnen können. Schließlich war ich diejenige gewesen, die sich in den vergangenen Wochen immer mehr zurückgezogen hatte. Ich war hin- und hergerissen. In der einen Sekunde vermisste ich Köln so heftig, dass es wehtat, und wäre den beiden am liebsten hinterhergerannt, in der anderen Sekunde hatte ich einen gepflegten Hass auf Jungs,
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