Splitterherz
Handys, Schminkutensilien, Kinopaläste und Schnellimbisse. Weil das alles Dinge waren, mit denen ich mich auszukennen glaubte, und ich jetzt feststellen musste, dass sie mir hier gar nichts nützten. Ich wusste nicht einmal, wie die Jungs in meiner neuen Stufe aussahen, da ich nie von meinen Büchern aufschaute.
»Ellie, Telefon!«, holte mich Mamas Stimme aus meiner zornigen Trance. Oh, bestimmt Nicole oder Jenny, die etwas vergessen hatten. Immer noch angesäuert nahm ich Mama das Telefon aus ihrer erdverkrusteten Hand.
»Ja?«, bellte ich in den Hörer.
»Elisabeth? Bist du das?«
Autsch. Eine Jungenstimme. Und zwar eine nette.
»Benni?«, sprach ich meinen Gedankenblitz laut aus.
»Ja, ich bin’s. Hi, Ellie. Ich wollte nur fragen, ob du Lust hast, mit uns Pizza zu essen und eine DVD zu gucken.« Sieh an. Es gab DVD-
Player im Wald. Ich war so durcheinander, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Pizza essen.
»Ellie? Bist du noch da?«
»Ja, ich ... ich dachte, ich hätte dich beleidigt - und so«, stotterte ich.
»Ach, das ist längst vergessen. Wir sind hier nicht so nachtragend.« Ich musste trotz meines Elends grinsen. Benni machte sich mal wieder für den Westerwälder Menschenschlag stark.
»Okay, danke. Aber - ich war den ganzen Tag auf den Beinen und hatte bis eben Besuch. Ich bin furchtbar müde.« Und ich trau mich niemals, einfach so mit fremden Jungs (und Mädchen?) Pizza zu essen und Filme zu gucken.
»Du hörst dich wirklich k.o. an«, sagte Benni nachdenklich. »Ist alles in Ordnung?«
Wenn ich jetzt Nein gesagt hätte, hätte ich angefangen zu heulen.
»Ja. Ich bin nur sehr müde. Das war eine stressige Woche.«
»Klar«, sagte Benni großzügig. »Aber du wirst dich hier schon noch einleben, bestimmt.« Es klang fast wie eine Drohung.
»Ja, ich glaube auch«, antwortete ich mechanisch. »Und, Benni - frag mich bitte wieder einmal, okay?« Letzteres meinte ich in diesem Moment sogar ernst. Doch ich wusste auch, dass es niemals dazu kommen würde. Das wusste ich einfach.
»Klar doch, mach ich gerne! Dann einen schönen Abend, bis morgen in der Schule!«
Ich legte auf. Mama lauerte wie ein stummer Schatten hinter mir. Ich drehte mich langsam um und ihr erwartungsvoller Blick erstarrte, als sie meine Miene sah.
»Er ist nett, ja, aber ich bin weder verknallt noch interessiert. Ich bin grad gar nichts«, jammerte ich.
»Aber du bist alles für uns«, antwortete Mama beschwichtigend und wollte mich in den Arm nehmen. Doch ich hatte mir geschworen, nicht zu weinen. Ich wich ihr aus und sagte mit erstickter Stimme, dass ich einfach nur ein wenig allein sein musste.
In meinem Zimmer roch es noch nach Nicoles Parfüm. Ich riss das Fenster neben dem Bett auf, fächerte hysterisch Luft in den Raum und blickte dann mit verschleiertem Blick auf den trüben Dorfrand.
Ich hätte zu Maike fahren und mit ihr Löwenzahn für ihre Kaninchen sammeln sollen - danach hatte sie mich nämlich am Freitag noch gefragt und in meinen Ohren hatte das so komisch und kindlich geklungen, dass ich lachen musste. Ich hatte ihr gesagt, dass meine Kölner Freundinnen kommen wollten, und sie war nicht böse gewesen und schon gar nicht beleidigt. Ich hätte sie nicht auslachen dürfen. Ich konnte mir zwar Besseres vorstellen, als Löwenzahn zu pflücken, aber dieses Intermezzo eben war unleugbar verschwendete Zeit gewesen.
Endlich war Nicoles Parfüm verflogen. Ich setzte mich an den Schreibtisch, lenkte meine Gedanken auf die Schulaufgaben und versuchte, nicht an meine beiden »besten« Freundinnen zu denken.
Nach dem Abendessen war ich so müde, dass meine Augen zu tränen begannen und mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. Es dauerte, bis mir unter der Bettdecke warm wurde, und als ich in den Schlaf sank, fröstelte ich immer noch.
Stunden später - es war noch stockfinster und die Stille verriet mir, dass der Morgen weit weg war - erwachte ich binnen eines Pulsschlags. Mir war so warm, dass ich mit einer einzigen Bewegung mein Bettzeug zurückschlug. Mein Herz raste. Ich war nicht allein. Hier war jemand. In meinem Zimmer. Ich wollte das Licht anknipsen, doch ich fand den Schalter nicht. Wo war der verflixte Schalter?
Die Lampe rutschte vom Nachttisch und fiel mit leisem Scheppern zu Boden. In diesem Moment brach ein fahler bläulicher Mond durch die Wolken und erhellte das Zimmer mit seinem milchigen Licht. Gänsehaut kroch über meine Arme bis
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