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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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widerwillig zugeben. Schmale und doch füllige, fein geschwun­gene Lippen, mit winzigen Grübchen in den Mundwinkeln, fast so blass wie die Haut - zu blass.
    »Das künstliche Licht lässt auch dich nicht unbedingt gesünder aussehen«, kommentierte er mein fassungsloses Starren ungerührt und entblößte beim Lächeln eine makellose, blitzende Zahnreihe. Konnte er Gedanken lesen?
    »Du musst damit rechnen, dass man dich bei einer so seltenen Gelegenheit anglotzt. Sonst versteckst du dich ja immer unter dei­ner Kappe«, giftete ich und spürte, wie ich rot wurde. Ja, ich hatte geschwitzt, im Heu gelegen, mein Make-up hatte sich schon auf dem Weg hierher verabschiedet und ein Abend mit diversen Beinahe-Ohnmachten verkam unweigerlich zum Bad Hair Day - ver­mutlich machte ich keine gute Figur. Zumindest aber, hoffte ich, sah ich nicht so - so eigenartig aus wie er.
    »Möchtest du nun nach Hause?«, fragte er.
    »Eigentlich nicht. Nicht sofort«, antwortete ich viel zu ehrlich. Nein, ich wollte noch nicht nach Hause. Es war, als ob die Nacht mich nach draußen zog, ins Freie. Colin musterte mich mit seinen schrägen Kohleaugen.
    »In irgendeine Dorfkneipe oder Pizzeria setze ich mich nicht«, stellte er in einem Ton fest, der keinen Widerspruch duldete.
    »Ich auch nicht«, erwiderte ich schnell.
    »Dann komm mit«, sagte er schlicht und ging mit ausgeruhten Schritten zu seinem Auto, das hinter dem Stall parkte. Jetzt betrach­tete ich es zum ersten Mal bewusst - ein wahres Monster von einem Geländewagen. Schwarz natürlich. Wahrscheinlich brauchte es so ein Ungetüm, um einen Koloss wie Louis samt Anhänger ziehen zu können. Im riesigen Kofferraum lag mein Fahrrad.
    Er öffnete mir die Tür und ich kletterte auf den Beifahrersitz. Die Luft im Wagen war stickig. Surrend glitten die Fenster nach unten und die feuchte, duftende Nachtluft umschmeichelte kühl meine Haut.
    Ich hatte keine Ahnung, wohin er mich bringen würde, was er mit mir vorhatte. Vielleicht fuhr er mich doch einfach nur nach Hause - damit rechnete ich am ehesten, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass er erpicht darauf war, mehr Zeit mit mir zu ver­bringen als nötig. Dennoch wusste ich es nicht mit Sicherheit und alleine die Macht, die ich ihm verliehen hatte, gehörte zu den Din­gen, die Mama und Papa in Sorge versetzen würden. Steig nie zu einem Fremden ins Auto. Bleib immer unabhängig. Nimm im Zweifelsfall ein Taxi. Ich schlug alle Ratschläge in den Wind.
    Es dauerte, bis wir auf einer befestigten Straße waren. Colin ließ die Scheinwerfer ausgeschaltet. Ich wagte es nicht, ihn darauf hin­zuweisen. Möglicherweise schmiss er mich dann raus und ich muss­te zu Fuß durch die nachtschwarze Wildnis stapfen.
    Erst auf der Landstraße drückte er widerwillig den Lichtknopf. Auf halber Strecke nach Kaulenfeld, nur zwei oder drei Kilometer von unserem Haus entfernt, bog er in den Wald ab. Die Straße ver­engte sich zu einem Wirtschaftsweg, der irgendwann in eine tan­nennadelbedeckte Zufahrtsstraße überging.
    Um uns herum herrschte vollkommene Dunkelheit, nur die Kegel der Scheinwerfer erleuchteten den holprigen Pfad. Colin hielt an, um ein Reh mit seinem Kitz passieren zu lassen, und schaute den Tieren mit finsterem Blick nach. Ein Nachbeben meines Traumes erschütterte mein Bewusstsein. Für Sekunden fühlte ich ihre wild klopfenden Herzen.
    Dann erschien ein schmiedeeisernes, offen stehendes Tor vor uns.
    Colin lenkte den riesigen Wagen spielerisch hindurch, parkte ihn und stellte den Motor aus. Stumm blieb ich neben ihm sitzen und erkannte im Dunkel ein aus grauen Feldsteinen erbautes, altertüm­liches Haus. Eine hochbeinige Katze löste sich aus dem Schwarz der wuchtigen Holztür. Maunzend trabte sie zu uns herüber, als wir aus dem Auto stiegen.
    »Hallo, Mister X«, sagte Colin leise und strich dem Kater über das knisternde Fell. Ich kam mir vor wie in einem Märchen, doch ich fürchtete mich nicht. Mein Puls peitschte lebensmutig durch mei­nen Körper und ließ meine Haut von den Haarwurzeln bis zu den Fingerkuppen kribbeln.
    Ein flackerndes Wetterleuchten hinter dem Dickicht des Waldes erhellte kurz die Szenerie. Aufrecht, wie ein langer, schmaler Schat­ten, stand Colin neben mir und blickte auf das Haus.
    »Was - was ist das für ein Anwesen?«, fragte ich scheu.
    »Ein Forsthaus aus dem 19. Jahrhundert. Ich konnte es preiswert kaufen und herrichten. Den meisten Menschen liegt es zu abge­schieden. Aber für mich und meinen

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