Splitterherz
Beruf ist es perfekt.«
»Was machst du denn?«
»Ich bin Forstamtsgehilfe und studiere Forstwirtschaft. So nebenbei.«
Das Lachen blubberte ungehindert aus mir heraus. Förster! Das waren für mich spießige Männer in Lodengrün, aber nicht jemand wie Colin.
Er seufzte nur und ließ mich lachen. »Du weißt eben nicht, was der Wald mir bedeutet. Wie wichtig er für uns ist. Und wie still er sein kann.«
Prompt erstarb mein Gelächter. Doch er schien mir mein albernes Verhalten ausnahmsweise nicht übel zu nehmen.
»Du willst sicher etwas trinken, Ellie.« Oh ja, das stimmte. Meine Kehle war wieder wie ausgetrocknet.
Er schloss die schwere Eichentür auf und trat ein, ohne Licht zu machen. Mister X folgte ihm auf flinken Sohlen. Obwohl sich meine Augen langsam an die Dunkelheit zu gewöhnen begannen, konnte ich im Innern des Hauses nichts erkennen.
»Colin?«, rief ich zögerlich.
»Bin gleich wieder da«, hörte ich seine Stimme von ferne. Wo steckte er nur? Ich hatte überhaupt keine Schritte wahrgenommen. Neugierig huschte ich über die Schwelle. Ich vernahm ein leises Scheppern, das aus einem der unteren Räume nach oben drang - natürlich, die Getränke waren wahrscheinlich im Keller gelagert. Ich verließ mich auf mein Gehör und tastete mich der Geräuschquelle entgegen.
Ausgetretene Steinstufen brachten mich nach unten. Auch hier brannte kein Licht. Ich hatte mich im Kölner Haus blind ausgekannt und nur Licht angemacht, wenn ich es wirklich brauchte. Doch dieser Keller war fremdes Terrain und ganz abgesehen davon war es nicht gerade höflich, seinen Gast im finsteren Haus herumtapsen zu lassen.
Plötzlich streifte ein Geruch meine Nase, den ich nicht zuordnen konnte - warm und organisch, gleichzeitig streng, salzig und wild. Schlagartig wallte Panik in mir auf und ich wollte zu Colin, wenigstens in seine Nähe - was war das nur für ein Geruch? Woher kannte ich ihn?
Ich stürzte nach vorn und mein Gesicht prallte gegen etwas Weiches, Schleimiges. Mit einem erstickten Aufschrei versuchte ich es zu greifen. Borstiges Fell drückte sich zwischen meine Finger.
»Colin! Hilfe!«, schrie ich. »Bitte komm schnell, bitte!« Ich schlug wild um mich und immer wieder klatschte schleimiges, stinkendes Gewebe in mein Gesicht.
»Elisabeth«, stöhnte er genervt. »Hab ich gesagt, du sollst mir folgen?«
Eine Kerzenflamme erhellte die Finsternis und ich schrie noch einmal, als ich sehen konnte, was mich berührt hatte. Vier blutige Wildschweinhälften hingen in dem kahlen Kellerraum. Böse kleine Äuglein starrten mir schwarz und verkrustet aus ihren toten Höhlen entgegen. Schluchzend fuhr ich mir mit den Händen über das Gesicht. Meine Finger waren voller Blut.
»Oh Gott... oh Gott...« Ich stürzte auf die Treppe zu und wollte ins Freie rennen, doch ich verfehlte die erste Stufe und rutschte hart gegen die kalte Wand. Ein starker Arm griff sanft um meine Hüfte und trug mich mühelos nach oben. Am Ende der Treppe setzte Colin mich wie ein kleines, unartiges Kind ab und schaute mich kopfschüttelnd an. Ein leichtes Grinsen konnte er nicht unterdrücken und kurz hasste ich ihn dafür.
»Was ... ist ... das?«, keuchte ich und deutete anklagend nach unten.
»Zwei Wildschweine, die dort ausbluten und morgen verkauft werden.« Genau. Es war das Blut gewesen, das ich gerochen hatte. Blut und das strenge Aroma von Wild.
»Warum? Warum?«, fragte ich nicht minder anklagend.
»Ellie«, sagte Colin geduldig, doch es sah aus, als müsste er sich angesichts meiner blutverschmierten Wangen mit aller Gewalt zusammennehmen. »Ich arbeite im Wald. Die meisten Förster sind auch Jäger. Das ist hier etwas völlig Normales. Ich habe dir da unten Wasser aus der Zisterne geholt. Aber du solltest dir jetzt erst einmal das Gesicht waschen.«
Er griff zur Wand und knipste das Licht an. Obwohl ich es mir herbeigesehnt hatte, tat es mir beinahe weh. Geblendet kniff ich die Augen zusammen. Nach dem Desaster im Keller hatte ich Hirschgeweihe erwartet und Felle, die auf einem Eichenparkettboden lagen. Waldgrüne Sofas und altmodische Tischchen.
Doch Colin hatte die urigen Natursteinwände und die schwere
Holzdecke mit einer weißen, modernen Hochglanzküche und hellen Designersofas kombiniert. An der Wand hingen ein alter Sattel und historische Stallgerätschaften; auf dem Kamin standen zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotografien.
Ich lief zur Spüle, drehte den Wasserhahn auf und wusch mein Gesicht.
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