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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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recht - seltsam war noch ein viel zu schönes Wort für ihn. Ich beschloss, den Spieß umzudrehen. Jetzt sollte er mir mal ein paar Dinge er­klären.
    »Warum hast du dein Pferd bei Maike abgestellt? Ich meine - das ist doch kein passender Stall für einen Reiter wie dich, oder?«, wähl­te ich für den Anfang ein möglichst belangloses Thema.
    »Ich habe Louis nicht bei Maike abgestellt«, erwiderte er beleh­rend. »Der Stall gehört ihrem Großvater.«
    »Und - weiter?«, fragte ich halsstarrig. Das war ja schlimmer als
    Zähne ziehen. Colin schaute lange in den Mond, bevor er mir ant­wortete.
    »Der alte Mann ist blind.«
    »Aha.« Ich kapierte gar nichts.
    »Er sieht mich nicht.« Colin lachte trocken auf. »Anfangs sagte er, ich sei der Teufel. Und Geschäfte mit dem Teufel schlage man besser nicht aus. Das sei zu gefährlich.«
    »Ich kann den Mann irgendwie verstehen«, sagte ich kühl.
    »Aber dann hörte er mich eines Abends reiten. Und er sagte, er müsse sich korrigieren. Ich sei nicht der Teufel, sondern der gefalle­ne Erzengel. Zumindest, was Pferde betrifft. Nun, er braucht mein Geld und ich brauche hin und wieder einen Reitplatz. So einfach ist das«, schloss Colin.
    »Warum kein normaler Stall mit anderen Pferden und Men­schen?«
    »Louis ist ein Hengst«, erklärte Colin knapp. »Zu viel Macho­gehabe.« Das war alles? Nur weil Louis ein Hengst war, stand er al­leine mitten im Wald, umgeben von zottigen Ponys, die jenseits von Gut und Böse waren?
    »Wie lange gehört dir Louis schon?«, fragte ich weiter.
    »Ich habe ihn großgezogen.« Colins Stimme wurde weich. »Er kommt aus England und war ein waschechter Weideunfall. Ein Friesenhengst hatte sich zu den Zuchtstuten verirrt. Doch ich sah sofort, welches Potenzial in ihm steckte. Ich musste ihn haben. Also habe ich ihn zugeritten.«
    War Colin doch älter, als ich dachte? Oder eines dieser Genies, die bereits im Alter von vier oder fünf Jahren furchtlos über die Felder galoppierten?
    »Hattest du denn schon viele Pferde?« Die Frage kam mir absurd vor, doch ich stellte sie trotzdem.
    »Ja. Viele«, antwortete er. Misstrauisch schüttelte ich den Kopf.
    Was war der Typ eigentlich - ein Blender? Menschenkenntnis, ne­benbei studieren, Hauskauf, Pferd aus England, eins von vielen. Zu­geritten. Pah. Der wollte mich doch an der Nase herumführen.
    »Wie alt bist du?«
    Er löste seinen Blick vom Mond und schaute mich direkt an, ohne mit der Wimper zu zucken. Noch immer ruhte der Nachtfalter wie ein lebendiges Tattoo auf seiner Wange.
    »Zwanzig«, sagte er leise.
    Also doch. Ich hatte sein Alter richtig eingeschätzt. Er ließ es zu, dass ich seine Züge mit kritischem Blick begutachtete. Ich sah keine Altersspuren in seinem Gesicht. Auch seine Hände waren jung, ob­wohl sie von leichten Schwielen an den Fingergliedern gezeichnet wurden - dort, wo die Zügel verliefen.
    »Aber warum - wie kann man denn - ich meine, Pferde werden doch weit über fünfzehn Jahre alt, und ...?« Ich schüttelte ratlos den Kopf.
    Für einen Moment wirkte Colin, als würde er gegen etwas an­kämpfen und verlieren. Dann erhob er sich, ging ins Haus und kam wenige Sekunden später mit zwei Fotografien zurück. Er musste sie vom Kamin genommen haben - es waren vergilbte Schwarz-Weiß- Aufnahmen. Meine Augen hatten sich so gut auf die Dunkelheit eingestellt, dass ich sie ohne Mühe betrachten konnte. Auf dem ei­nen Bild stand Colin mit einem prachtvollen Schimmel auf einer Wiese; auf dem anderen ritt er ihn - in seiner gewohnt stolzen, wür­devollen und eleganten Haltung, die nie an Lässigkeit vermissen ließ.
    »Das war mein erstes Pferd. Eine Stute aus Arabien. Ein wunder­bares Tier. Auf dem Papier gehörte sie nicht mir. Im Herzen schon.«
    In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Ja, er sah jünger aus auf dem Foto. Die Haare waren kürzer, aber er war bereits so groß wie jetzt. Was zum Teufel stellte er mit seinen Pferden an, wenn er in so kurzer Zeit einen solchen Verschleiß hatte? Benutzte er sie nur als Sportgerät? Doch so hatte das vorhin nicht ausgesehen. Wann würde Louis ausgetauscht werden? Dieser Gedanke versetzte mir einen ungeahnten Stich.
    Bevor ich eine der auf mich einstürmenden Fragen herauspicken und stellen konnte, nahm er die Bilder behutsam aus meinen Hän­den.
    »Das war schon viel zu viel«, sagte er wie zu sich selbst und schüt­telte fast unmerklich den Kopf. Dann sah er mich an, hob seine Hand und strich mit den

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