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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zu können.
    »Er ist eben gerne in meiner Nähe«, grinste er. Ich hatte den Ver­dacht, dass er mich hinter seinen schwarzen Gläsern schamlos mus­terte.
    »Colin, setz die verdammte Brille ab. Ich kann es nicht leiden, wenn ich mit Menschen rede, die ihre Augen verstecken.«
    »Das geht nicht.« Sein Grinsen erlosch. Er trat einen Schritt zu­rück.
    »Doch, das geht, siehst du, es geht ganz einfach«, fauchte ich, streck­te meine Hand aus und zog ihm mit einem gezielten Griff die Brille von der Nase. Ich wusste, dass er es hätte verhindern können - aber er tat es nicht. Möglicherweise genoss er sogar meine geschockte Reaktion. Bewegungslos wie eine Statue stand er mir gegenüber und ich konnte kaum fassen, was ich sah. Das musste ein Traum sein. Ich quetschte mir mit den Fingern den Arm. Es tat weh. Ich träumte nicht.
    Doch dieser Mann vor mir war nicht Colin. Nicht der Colin von heute Nacht. Seine Augen hatten die gleiche Form, ja, aber sie schil­lerten in einer unerträglich hellen türkisen Farbe, einer ozeanischen
    Mischung aus Grün und Blau. Bräunliche Sommersprossen tanzten auf Nase und Wangen. Seine Haare waren immer noch tiefdunkel, doch von kupfernen Strähnen durchzogen, in denen das Sonnen­licht spielte. Die Sommersprossen und die Kupferfäden im Haar hatte ich möglicherweise gestern übersehen, schließlich hatte ich meine Kontaktlinsen herausgenommen - aber die Augen? Garan­tiert nicht.
    Er sagte nichts; schaute mir nur zu, wie ich angestrengt beobach­tete, analysierte und überlegte. Es war unmöglich, irgendwelche Gefühle von seinem Gesicht abzulesen. Er reagierte auf Licht - konnte das sein? Wie ein Chamäleon auf Farben und Stimmung? Im Schein der Laterne vor dem Stall hatte er anders ausgesehen als nachts im Mondlicht vor seinem Haus - und nun wirkte er wie ein auferstandener Wikinger.
    Er blinzelte; das Licht schien ihm wehzutun.
    »Was ist mit deinen Augen?«, fragte ich direkt. Mir war nicht nach langem Rätselraten zumute.
    »Eine Krankheit«, antwortete er ausweichend.
    »Oh, eine Krankheit - ein akuter Fall von Vampirismus viel­leicht?«, spottete ich.
    Jäh veränderten sich seine Züge, wurden hart und kalt.
    »Sei nicht kindisch, Ellie«, sagte er abweisend. »Schon mal was von Sonnenallergie gehört? Lichtüberempfindlichkeit?«
    Er nahm mir die Brille aus der Hand und schob sie sich wieder auf die Nase. Mich befiel eine überraschende Trauer, nicht mehr in das pulsierende Eis seiner Iris blicken zu können. Ich glaubte ihm nicht. Sonnenallergie bei Dunkelhaarigen? Niemals. Entweder er war so eitel, dass er farbige Kontaktlinsen trug - und das würde ich Sir Colin Jeremiah Blackburn durchaus Zutrauen -, und ich hatte die Sommersprossen gestern übersehen oder ... Das »Oder« konnte ich nicht beantworten.
    Seine distanzierte, gleichgültige Art hatte meine schlechte Verfas­sung jedenfalls vollendet. Erschrocken spürte ich, dass sich ein allzu vertrauter Druck auf meine Tränendrüsen senkte. Ich schluckte hef­tig und betete zu Gott, dass meine Stimme stabil blieb.
    »Ich wollte nur einen Witz machen. Ich hab nicht gut geschlafen. Ich bin - ich ...«, stotterte ich und klang zu meinem Entsetzen alles andere als stabil.
    »Du bist einsam«, hörte ich Colins Stimme - doch sie kam nicht von ihm, sondern ertönte in meinem Kopf. Hatte er überhaupt et­was gesagt? Ich blickte auf, aber in seinem Gesicht war nichts zu lesen. Es blieb unbewegt, die Augen fehlten, ich brauchte seine Au­gen ...
    »Ist schon gut, Ellie«, sagte er sanft. Jetzt drang seine Stimme wie­der normal und natürlich an mein Ohr. Trotzdem stimmte etwas nicht.
    Ich schlüpfte umständlich in meine Flipflops. Es kostete mich unsäglich viel Mühe und Konzentration, als hätte jemand meinen Verstand gestohlen. Meine Fingerspitzen kribbelten und in meinen Ohren toste hämmernd das Blut. Verflucht. Das war eine beginnen­de Ohnmacht. Ich hatte seit gestern Nachmittag nichts mehr geges­sen. Ich hatte einfach nicht daran gedacht. Und jetzt - jetzt würde ich umkippen, direkt vor seinen Füßen. Das durfte nicht passieren, auf keinen Fall. Schwarze Flecken wirbelten vor meinen Augen und die Welt drehte sich elegant zur Seite.
    »Colin - ich falle in Ohnmacht... ich ...«
    Das Schwarz war wie Watte. Ich fiel und fiel doch nicht. Ich tat mir nicht weh. Ich registrierte noch, dass mir ein wenig übel war, doch das machte mir nichts aus. Mir würde nichts passieren. Mir konnte gar nichts passieren. Ich ließ

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