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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Nacht.
    Fassungslos schaute ich Papa an. Das Knistern war verklungen, aber noch immer schien pure Energie durch seinen angespannten Körper zu jagen.
    »Was sollte das denn? Was denkst du dir dabei?« Jetzt war ich die­jenige, die wütend wurde. »Er hat mir nichts getan! Er hat mich nur heimgefahren, das ist alles!« Ich war zu schwach, um zu schreien, aber wenigstens brach meine Stimme nicht. Stattdessen schossen mir die Tränen in die Augen. Papa wirkte wie jemand, der mit aller erdenklichen Mühe versuchte, Gedanken und Worte wegzuschie­ben.
    »Er ist nicht gut für dich, Elisabeth«, sagte er mit erzwungener Ruhe. »Er ist zu alt und ...«
    »Er ist zwanzig! Drei Jahre älter«, unterbrach ich ihn.
    »Zwanzig«, knurrte Papa verächtlich. »Hast du ihn dir mal ange­sehen? Er ist ein Schwerenöter, einer, der Mädchen abschleppt und sie benutzt, sie schwängert und ihnen das Herz bricht. Das erkennt doch ein Blinder!«
    Schon immer hatte ich ein verlässliches Gefühl dafür gehabt, ob mich jemand belog oder nicht. Diesmal war es so klar, dass ich kei­nerlei Zweifel hegte. Papa log. Jedes Wort war gelogen.
    »Du lügst«, sagte ich.
    »Wag es nicht, mich der Lüge zu bezichtigen, Elisabeth«, herrschte Papa mich an. »Er wird alles vernichten, was dir lieb ist. Alles!«
    Seine Stimme und sein Blick waren so befremdlich und Furcht einflößend, dass ich nur noch an eines dachte: Weg hier. Raus. Ich würde keine weitere Minute bleiben.
    »Du bist zu weit gegangen, Papa«, sagte ich leise. »Ich bin kein Flittchen. Du könntest mir vertrauen. Aber du tust es nicht. Und du machst mir Angst!«
    Mit einem Satz war ich an der Tür des Wintergartens und rannte, so schnell ich konnte, die Stufen zum Garten hinunter. Einen Mo­ment lang war ich mir sicher, seinen Atem hinter mir zu spüren, doch ich sprang ungehindert auf mein ramponiertes Fahrrad, trat keuchend in die Pedale und raste den Feldweg hoch in den Wald hinein.
    Unser Haus war plötzlich Feindesland geworden. Ich fürchtete mich davor, dorthin zurückzukehren, doch gleichzeitig zerriss mich der Gedanke daran, dass ich mich meinem Vater widersetzt hatte und abgehauen war.
    Wie in Trance bahnte ich mir meinen Weg durch die Tannen, ohne zu begreifen, was ich hier überhaupt tat. Steine spritzten auf und einige Male konnte ich mich nur mit Müh und Not vor einem halsbrecherischen Sturz bewahren. Dann platzte der Hinterreifen. Fluchend schleuderte ich das Rad ins Unterholz.
    Ich schluchzte heftig, ein unpassendes Geräusch zwischen dem lieblichen Zirpen der Grillen und dem sanften Rauschen des Win­des. Meine Lungen brannten und die Jeans klebte an meinen ver­schwitzten Beinen. Ein leises Maunzen ließ mich innehalten. Mitten auf dem Pfad stand Mister X. Er blickte mich aufmerksam an.
    »Oh, hallo, Katze«, sagte ich erstickt und setzte mich auf den stei­nigen Boden. Schnurrend trabte er zu mir herüber und rieb seinen dicken Schädel an meiner Wange. Das Schluchzen schüttelte mich am ganzen Körper. Ich verstand Papa nicht und ich verstand Colin nicht. Die ganze Situation war so grotesk und unlogisch gewesen, dass ich noch immer nicht in der Lage war, sie zu interpretieren oder gar zu erklären.
    Doch jetzt, wo Mister X mir maunzend schwachen Trost ver­schaffte, wusste ich, dass ich Colin danach fragen musste. Wenn schon mein eigener Vater log, musste wenigstens er mir die Wahr­heit erzählen. Irgendetwas sagte mir, dass er sie kannte.
    Mister X zeigte mir verlässlich den Weg und ich fand Colin hinter dem Haus, wo er mit harten, schnellen Schlägen Holz hackte. Im­mer wieder zog er die Axt mit schier unmenschlicher Kraft durch die dicken Scheite und ab und zu meinte ich, Funken aufblitzen zu sehen, wenn das Metall auf das Holz traf. Mister X plusterte sich vorwurfsvoll auf und setzte sich in gehörigem Abstand auf seinen pelzigen Hintern.
    »Aufhören! Stopp!«, schrie ich. Colin reagierte nicht.
    Mir war klar, dass er mich wahrgenommen hatte, doch er zer­trümmerte erst weitere drei Holzklötze, bis er sich aufrichtete und mich mit qualvollem Blick anschaute. Kein einziger Schweißtropfen rann über sein Gesicht, obwohl es beklemmend schwül war. Sein Hemd hatte Flecken bekommen und seine Hose war übersät mit Holzspänen.
    »Was war das eben?«, fragte ich und scheiterte an dem Unterfan­gen, mein Weinen zu unterdrücken. Trotzdem klang ich erstaunlich fordernd. »Erklär mir, was das war. Sofort!«
    Noch einmal löste er die Axt aus dem Baumstamm und

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