Splitterndes Glas - Kriminalroman
umziehen?«
»Das habe ich schon mal gemacht. Er hat mich gefunden.«
»Kannst du nicht eine einstweilige Verfügung erwirken?«
Helen lachte. »Mit welcher Begründung? Dass der Mann gut im Bett ist?«
»Aber wenn du nicht willst …?«
»Es ist keine Vergewaltigung, er zwingt mich nicht dazu. Ich bin diejenige, die Ja sagt, musst du wissen. Und der Sex ist großartig. Wenn es passiert, ist es unglaublich. Fast jedes Mal. Aber hinterher …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich schmutzig. Wie etwas, das er benutzt hat. Und ich verabscheue mich selbst.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gab Lorraine zu. »Ich weiß es einfach nicht.«
Helen lächelte. »Es gibt nichts. Das ist der springende Punkt.«
»Ich wärme den Kaffee noch einmal auf. Bist du sicher, dass du keinen mehr willst?«
»Ganz sicher.«
Lorraine drückte im Vorbeigehen Helens Schulter.
Helen sah Susie zu, die an den Seiten ihres Stoffbuches |357| zerrte, und widerstand dem Impuls, hinzugehen und sie auf den Arm zu nehmen. Wie alt wäre ihr eigenes Kind jetzt, wenn sie nicht abgetrieben hätte?
Daran wollte sie nicht denken.
Schnell stand sie auf und folgte Lorraine in die Küche. »Der Kaffee – ist es zu spät, wenn ich doch noch welchen möchte?«
Später setzten sie Susie in den Buggy und machten einen Spaziergang zu dem kleinen Spielplatz in der Mitte des Dorfes.
»Also«, sagte Helen, »wann fängst du mit deiner neuen Arbeit an?«
»Ich habe mich noch gar nicht bei dir dafür bedankt, dass du Will dazu gebracht hast, seine Meinung zu ändern«, sagte Lorraine.
»Er braucht einfach nur von Zeit zu Zeit einen Tritt in den Hintern, das ist alles.«
Lorraine lächelte. »So schlimm ist er gar nicht.«
»Ich weiß.«
Susie zappelte in ihrem Buggy.
»Ich war manchmal eifersüchtig auf dich«, sagte Lorraine.
»Es gibt wirklich keinen Grund dafür.«
»Ich habe ihn manchmal wochenlang kaum gesehen, und ihr beiden, ihr wart die ganze Zeit zusammen. Von frühmorgens bis Gott weiß, wann.«
Helen ergriff Lorraines Hand. »Will ist ein wunderbarer Mann. Er ist ein guter Chef und ein guter Partner bei der Arbeit, und ich bin gern mit ihm zusammen, aber ich bin nicht scharf auf ihn, okay?«
»Okay.«
Helen lächelte. Es war die Wahrheit – jedenfalls meistens.
|358| 35
Zwei Tage später, kurz vor zehn Uhr abends, gab es Ärger. Zwischen zwei Gruppen von Jugendlichen – insgesamt fünfzehn, in der Hauptsache Jungen – brach Streit aus. Das geschah auf dem Marktplatz von Heanor, der nächsten kleinen Stadt nach Eastwood.
Es kam zu Geschubse und Gerempel, zu Beschimpfungen und Flüchen, zu Gewaltandrohungen und Vergeltungsmaßnahmen in Form von ein paar wahllos ausgeteilten Faustschlägen. Eine Menge Lärm. Die meisten von ihnen, wenn nicht alle, hatten getrunken – hauptsächlich Cider und Büchsen mit billigem Lager, aber am Randstein waren auch die Scherben einer zerbrochenen Wodkaflasche gefunden worden –, und wahrscheinlich hatten sich auch etliche mit Pillen zugedröhnt.
Nach einer Weile wurde aus unerfindlichen Gründen eine Art Versöhnung erreicht und die Gruppe rannte geschlossen durch eine der Wohnstraßen, die vom Marktplatz abgingen. Mülltonnen wurden umgekippt, Fenster eingeworfen, Holzlatten von einem Zaun gebrochen und als Waffen geschwungen. Zu diesem Zeitpunkt gingen drei Telefonanrufe bei der Polizei ein.
Nachdem sie ein älteres Ehepaar auf dem Heimweg vom Bingo in Angst und Schrecken versetzt hatten, indem sie der Frau die Handtasche entrissen und dann ein Stück weiter weg in einen Garten schmissen, machten die Jugendlichen kehrt und liefen zum Marktplatz zurück.
Als sie dort eintrafen, kamen Quadeer Ali und seine Freundin Kylie Lewis gerade aus der ›Golden Fish and Kebab Bar‹, wo sie sich zwei Döner geholt hatten, die sie in Lewis’ Wohnung mitnehmen wollten, wo auch Ali lebte. Das Paar wurde sofort mit rassistischen Beschimpfungen |359| bedacht; die drei Mädchen aus der Gruppe bezeichneten Lewis als Oberschlampe, weil sie mit jemanden ging, der anderer Rasse und Hautfarbe war. Ein Mädchen riss Lewis den eingewickelten Döner aus der Hand und warf ihn quer über den Platz, während ein anderes ihr ins Gesicht spuckte. Als Ali sie verteidigen wollte, fiel ein halbes Dutzend der Jungen über ihn her, und der Rest feuerte die Angreifer an.
Schließlich gelang es dem Paar, zu Alis Wagen zu gelangen, einem ziemlich alten Ford Escort, und sich dort einzuschließen.
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