Splitterndes Glas - Kriminalroman
die, dass Will ihn so lieber mochte: Dann konnte er die Scheiben nämlich so dick schneiden, wie er wollte.
Er war immer noch dabei, die verkohlten Ränder abzukratzen, als Lorraine mit Susie auf der Hüfte nach unten kam.
»Ich hoffe nur, das ist deine Scheibe, nicht meine.«
»Deine Scheibe ist gerade in Arbeit«, sagte Will.
Der Tee in der Kanne hatte zu lange gezogen, und Lorraine schüttete ihn aus und stellte den Kessel noch einmal an.
»Helen ist gestern vorbeigekommen.«
Will legte das Buttermesser beiseite. »Das hast du gar nicht erzählt.«
»Ich mach es ja jetzt. Sie hat sich gelangweilt, glaube ich. Sie brauchte jemanden zum Reden.«
»Worüber denn?«
Lorraine schloss den letzten Gurt von Susies Babysitz. »Ach, nichts Besonderes.«
»Ganz schön weite Fahrt für nichts Besonderes.«
»Na ja, ich sagte ja schon, dass sie sich gelangweilt hat. Sie kann kaum erwarten, wieder zu arbeiten.«
»Möchtest du Orangenmarmelade auf deinem Toast oder Himbeergelee?«
»Himbeergelee. Aber nur, wenn er nicht so angebrannt ist wie der Letzte.«
Will griff hinter sich und brachte die Grillpfanne in Sicherheit. Lorraine räumte Jakes Schale und Plastikbecher weg und schickte ihn ins Bad, wo er die Zähne putzen und Gesicht und Hände waschen sollte. Sie goss kochendes Wasser in die Kanne, schwenkte es mehrfach herum und |366| schüttete es in den Ausguss, dann warf sie zwei Teebeutel hinein und füllte Wasser auf.
»Wie ging es ihr?«, fragte Will, als sie sich hinsetzten. »Helen?«
»Gut, glaube ich. Ziemlich gut sogar, wenn man bedenkt, was passiert ist.«
»Hat sie darüber gesprochen?«
Lorraine schüttelte den Kopf.
»Worüber habt ihr dann geredet?«
»Wie gesagt, nichts Besonderes. Dies und das, verstehst du?« Lorraine lachte. »Wir haben unsere Zeit nicht damit verschwendet, über dich zu reden, wenn du das glaubst.«
Will spürte, wie ihm eine leichte Röte ins Gesicht stieg.
»Gibt bessere Themen.«
Will drehte sich nach der Kanne um und schenkte den Tee aus.
»Jake«, rief Lorraine die Treppe hinauf. »Hast du dir schon die Zähne geputzt?«
»Will ich gerade«, kam die Antwort.
Als er zur Arbeit fuhr, spielte auf Radio 2 leise ein Stück von den Pet Shop Boys, das Will recht gut gefiel, aber er konnte sich beim besten Willen nicht an den Titel erinnern.
Warum der Gedanke ihn beunruhigte, dass Lorraine und Helen sich ohne ihn trafen, konnte er nicht sagen, aber er beunruhigte ihn. Wollte er Arbeit und Familie lieber trennen? Er war sich nicht sicher.
Aber eines wusste er: Je eher Helen wieder mit ihm zusammenarbeitete, desto besser.
Die Temperatur war bestimmt um fünf Grad gestiegen. Chris Parsons hatte erst die Jacke ausgezogen, dann den Schlips und dann die obersten drei Knöpfe seines Jeanshemds aufgemacht. In seiner hellgrauen Hose und den aufgerollten |367| Manschetten war er der Inbegriff der Lässigkeit. Ihm gegenüber wand sich Gary Maitland auf seinem Stuhl und begann zu schwitzen. Den Schorf neben seinem Mund hatte er inzwischen vollständig abgekratzt.
Parsons stellte seine Fragen konsequent und mit fester Stimme, kam immer wieder auf dieselben Einzelheiten zurück. Bislang wenig oder nichts, über das sich Garys Mutter oder der zugewiesene Pflichtverteidiger beschweren konnten.
Als das Verhör seinen Fortgang nahm, gerieten jedoch die Aggressionen gegen Quadeer Ali und seine Freundin immer weiter in den Hintergrund, und der schwulenfeindliche Angriff in Cambridge rückte in den Mittelpunkt.
»Darf ich Sie daran erinnern«, führte der Anwalt aus, »dass dieser Vorfall, so bedauerlich er auch ist, nicht die Tat ist, derer mein Mandant beschuldigt wird?«
Parsons sah mit Bedacht auf die Bilder, die von Maitlands Telefon heruntergeladen und im A 4-Format ausgedruckt worden waren. »Wenn Sie sich deswegen Sorgen machen, können wir das jederzeit arrangieren.«
Der Anwalt setzte sich zurück.
Christine Maitland schloss die Augen; die Falten an ihrem Mund schienen tiefer eingegraben zu sein als zuvor.
»Erzählen Sie mir von diesen Fotos, Gary«, sagte Parsons noch einmal. »Sagen Sie mir, wie sie auf Ihr Telefon gekommen sind.«
Garys Antworten waren ausweichend und widersprüchlich. Er hatte keine Ahnung. Es war nicht sein Handy. Er hatte es ausgeliehen, um einen Freund anzurufen, um seine Mum anzurufen. Hatte es einem seiner Brüder weggenommen. Jemand musste es ihm in die Tasche gesteckt haben, als sie wegliefen. Okay, es war seines, er hatte es erst vor
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