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Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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der Gürtel, der ihn hielt. Als sie die King’s Parade entlangfuhr, war das Vorderrad ihres altmodischen Hollandrads gegen den Randstein gestoßen, sodass es heftig wackelte, was sie aus dem Sattel warf und fast in Wills ausgestreckten Armen landen ließ. Allerdings fing er sie nicht richtig auf, sondern stellte überrascht fest, dass er einen abgewinkelten Ellenbogen und einen recht großen Teil des in Weiß gehüllten Oberschenkels zu fassen gekriegt hatte.
    »O Gott! Tut mir leid. Entschuldigung«, rief das Mädchen. Die Tatsache, dass sie unter der Strickmütze etwas auf ihrem iPod hörte, ließ sie lauter schreien als notwendig.
    »Sauberer Fang, Will«, sagte Helen belustigt.
    Will befreite sich, gleichzeitig heftig bemüht, die Studentin nicht fallen zu lassen.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte das Mädchen noch einmal, zog die Mütze ab und nahm die kleinen weißen Kopfhörer aus den Ohren. »Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist.«
    »Ist ja nichts passiert«, sagte Will.
    Sie hatte außergewöhnliche blaue Augen und eine Haut wie Milch.
    »Will«, sagte Helen und stieß ihn an. »Deine Zunge.«
    »Was ist damit?«
    »Sie hängt raus.«
    Helen half der Studentin, das Fahrrad aufzurichten, und hielt den Lenker für sie, während sie ihren kleinen Rucksack zurechtrückte und wieder aufstieg. Ein flottes Winken, noch ein gerufenes Dankeschön und sie war wieder |163| unterwegs, fädelte sich in den unregelmäßigen Strom der Radfahrer ein, die von einem College zum anderen fuhren.
    »Also gut«, sagte Helen, »ich werde dich nie wieder beschuldigen, dass du auf Nick Moyles scharf bist. Dich machen knackige junge Frauen an, die zu Vorlesungen radeln und den Kopf voller Coldcut und Kierkegaard haben.«
    »Kierkegaard?«
    »Ach, nur ein Name, den ich irgendwo aufgeschnappt habe. Wahrscheinlich bei dieser Quizshow, weißt du. ›University Challenge‹.«
    »Manchmal«, sagte Will, »bist du schlauer, als gut für dich ist.«
    Nicht zum ersten Mal streckte Helen ihm die Zunge raus, eine feste Angewohnheit seit ihrer Kindheit, die sie nie hatte ablegen können. Eines Tages wird jemand kommen und sie dir abbeißen, pflegte ihre Mutter zu sagen.
    Gut, dachte Helen, lass sie nur kommen.
     
    Die Räumlichkeiten von Anstruther, Parks und Quince befanden sich ganz in der Nähe des Rathauses. Imitierter altmodischer Tudor-Stil vermischt mit technologischer Jurisprudenz und den schlanken Linien der Jahrhundertwende. Helens Bitte um einen Termin war erfolgreich gewesen: Mr Quentin Anstruther um zehn Uhr fünfundvierzig.
    Anstruthers Vogelhorst befand sich im oberen Stockwerk des Gebäudes; eine Wand war bedeckt mit juristischen Büchern, die meisten in Leder gebunden, an der anderen standen hauptsächlich Zeitschriften; der Tisch des Anwalts war groß genug für eine anständige Partie Tischtennis, ein schicker silberner Laptop stand geöffnet in der Mitte, daneben auf der einen Seite Papiere in gepflegter Unordnung, auf der Ecke des Tisches ein kleiner Strauß violetter Tulpen in einer Metallvase.
    |164| Trotz seines Namens erinnerte Anstruther in keiner Weise an eine Figur von Dickens. Sicher der Dritte oder Vierte seiner Linie, hatte er ein schmales Gesicht und war dünn wie ein Windhund. Er trug eine akkurat gebundene, diagonal gestreifte dunkle Krawatte zu einem rosa Hemd, dessen Manschetten genau ein Mal zurückgeschlagen waren, sodass ein Anflug von schwarzem Kraushaar hervorlugte.
    Wenn die beabsichtigte Wirkung war, dass sich sowohl Will als auch Helen etwas abgerissen und fehl am Platze vorkamen, so funktionierte das auch bis zu einem gewissen Grad.
    »Sehr freundlich von Ihnen, uns so kurzfristig zu empfangen«, sagte Will. »Wir werden nicht allzu viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen.«
    »Ist mir ein Vergnügen«, sagte Anstruther. »Schließlich liegt uns beiden   …« Ein Nicken in Helens Richtung. »Uns allen liegt das Gesetz am Herzen.«
    »Auf die eine oder andere Art«, sagte Helen.
    »Genau.«
    Aus einem Umschlag in seiner Tasche nahm Will eine Kopie des Schreibens, das der Anwalt an Stephen Bryan geschickt hatte, und schob sie über den Schreibtisch.
    »Das hier haben Sie geschrieben?«
    Anstruther warf einen flüchtigen Blick darauf. »Im Namen eines Mandanten, ja. Mr Bryan hatte offenbar außergewöhnlich hartnäckig um Informationen gebeten, meinen Mandanten zu jeder Tages- und Nachtzeit angerufen und auch andere Mitglieder der Familie zu sprechen versucht. Dieser Brief war ein Versuch,

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