Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
die Augen legen musste. Gemächlich grasten Rinder; zwei Ponys standen an einer Lücke in der Hecke |168| nahe beieinander; aufgeschreckt von einem stampfenden Traktor erhoben sich Kiebitze in die Luft. Der Islam füllte die Morgenzeitung: Aufstände in Somalia und Afghanistan; ein radikaler Geistlicher, der zu sieben Jahren verurteilt worden war, weil er in seiner Moschee in Finsbury Park zu Mord und Rassenhass aufgerufen hatte. Im Sportteil gab es einen Bericht über die niederträchtigen Gesänge, mit denen einige Fans der Tottenham Hotspurs einen früheren Spieler traktiert hatten, weil sie ihn für schwul hielten. Schwul und schwarz, sodass Rassismus und Homophobie zusammenkamen. Allein vom Lesen wurde Lesley übel.
    Auf den Innenseiten las sie die Rezension eines Stücks, das in Nottingham aufgeführt wurde: ›Samstagnacht und Sonntagmorgen‹ in einer Bühnenfassung. Alan Sillitoes Hauptfigur, der junge Arbeiter Arthur Seaton, ist primitiv und laut, auf der Suche nach einer schnellen Nummer.
Whatever people say I am, that’s what I’m not.
Ich bin ganz anders, als ihr denkt. Damals wie heute, dachte Lesley, verabreden sich die jungen Männer vor dem Rathaus beim linken Löwen mit einem Mädchen. Sie wollen sich in der Stadt besaufen und kotzen später auf den Old Market Square. Nur dass die Mädchen das jetzt auch machten, und das Phänomen hatte einen Namen: Kampftrinken. Warum war das so? Vielleicht ist es heute verbreiteter als 1958?, dachte sie. Vielleicht widmen wir der Frage größere Aufmerksamkeit?
    Sie warf einen Blick in den Großraumwagen, als ein junger Asiate aufstand, seinen Rucksack auf dem benachbarten Platz liegen ließ und zu den automatischen Türen ging. Wahrscheinlich wollte er zur Toilette oder zum Bordbistro oder vielleicht zu der Stelle zwischen zwei Waggons, wo er sein Handy ungestört benutzen konnte. Natürlich ließ er seinen Rucksack zurück. Trotzdem spulten sich in ihrem |169| Kopf noch einmal die Bilder der Überwachungskameras aus dem vorigen Juli ab: Drei junge muslimische Männer mit Rucksäcken sind dabei, den Zug nach London zu besteigen. Stunden später detonieren die Bomben. Bus und U-Bahn . Fleisch und Blut. Wahrscheinlich würde sie heute auch die U-Bahn nehmen, wenn sie angekommen war, von King’s Cross nach Chalk Farm, das war das Einfachste.
    Der junge Mann kehrte in den Wagen zurück, und als er merkte, dass Lesley ihn ansah, lächelte er und sie lächelte zurück.
    Whatever people say I am, that’s what I’m not.
    Als sie Alan Pike gefragt hatte, ob sie eventuell kurzfristig die Urlaubstage nehmen könne, die ihr noch zustanden, hatte er sarkastisch bemerkt, das sei immerhin besser, als sich krankzumelden, und hatte zugestimmt. Von allem anderen einmal abgesehen, dachte sie, war er sicher heilfroh, dass sie ihn nicht mit Crawford nerven konnte, wenn sie Urlaub hatte.
    »Der Staatsschutz verübt Einbrüche? Schüchtert Leute ein? Wo sind deine Beweise? Das ist eine Episode aus ›Spooks‹, keine Nachricht. Nein, der junge Mann in Bulwell, der in seiner eigenen Wohnung beraubt, splitternackt ausgezogen und dann angepinkelt wird, das ist eine Nachricht. Das ist eine Geschichte. Oder die fünfundachtzigjährige Oma draußen in Netherfield, die vom Sozialdienst in ein vierzehn Meilen entferntes Pflegeheim gebracht wird, und ihre Katze setzt sich in den Kopf, ihr zu folgen. Das ist eine Geschichte.«
    »Danke, Alan«, hatte sie gesagt, »dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.«
    Eine Pause würden ihnen beiden guttun.
    In der U-Bahn -Station ging Lesley nach rechts und |170| nahm dann den Weg über die von Graffiti übersäte Eisenbahnbrücke. In der Sonne war es jetzt richtig warm.
    Natalie Prince war dort, wo sie gesagt hatte: an einem Fenstertisch im ersten von mehreren Cafés an der Regent’s Park Road. Heute trug sie hauptsächlich gelb: ein schulterfreies gelbes Top unter einer braunen Häkeljacke, die locker von ihren Schultern herabhing, und hautenge gelbe Jeans; vor ihr stand irgendwo angelehnt ein Taschenbuch, gleich daneben ein Glas Orangensaft; eine übergroße Sonnenbrille schien ihr halbes Gesicht zu verdecken.
    »Inkognito?«, sagte Lesley, als sie neben ihr stand.
    »Zu verdammt hell.«
    Lesley lachte und glitt auf die Bank gegenüber.
    »Dieses blöde Wetter«, sagte Natalie, »gestern war es arschkalt und ich hab gefroren.«
    »Ich auch.«
    »Hast du das gelesen?«, sagte Natalie und hielt das Buch in die Höhe.
    Lesley las den Titel –

Weitere Kostenlose Bücher