Splitterndes Glas - Kriminalroman
eine Grenze zu ziehen.«
»Und all das bezog sich auf das Buch«, sagte Helen, »das Stephen Bryan über Stella Leonard zu schreiben beabsichtigte?«
|165| Anstruther nickte majestätisch. »So habe ich es verstanden, ja.«
»Es ist doch sicher kein Problem«, sagte Will, »den Namen Ihres Mandanten preiszugeben?«
Das Zögern dauerte nicht lange. »Howard Prince. Mr Prince ist mit Stella Leonards Nichte verheiratet.«
»Und handelte in ihrem Namen?«
»Im Namen der gesamten Familie, denke ich.«
»Können Sie uns sagen, wie Mr Bryan auf Ihren Brief reagiert hat?«, fragte Will.
Anstruther lächelte und zeigte Zähne, die oben weiß und an den Wurzeln gelblich waren. »Ich denke, das wissen Sie, Inspector. »Er hat meinen Bluff durchschaut.«
»Es war also ein Bluff?«
»In diesem Stadium, ja. Nach allem, was ich feststellen konnte, waren die Nachforschungen, die Mr Bryan im Zuge seiner Recherche bereits angestellt hatte, trotz der Beschwerde meines Mandanten nicht zu beanstanden.«
»Das heißt, aus Ihrer Sicht hat Mr Prince überreagiert?«
Anstruther lächelte wieder. »Ich kann meine Mandanten natürlich beraten. Es wäre sogar nachlässig, wenn ich es nicht täte. Aber ab einem gewissen Punkt entscheidet der Mandant, wie weiter verfahren werden soll.«
»Und als Mr Bryan klarstellte, dass er mit seiner Recherche fortfahren wollte, haben Sie da weitere Versuche unternommen, ihn davon abzuhalten?«
»Absolut keine.«
»Sie haben ihn nicht angerufen zum Beispiel?«
»Nein. Ganz bestimmt nicht.«
»Auch keiner Ihrer Mitarbeiter?«
»Auch keiner meiner Mitarbeiter.« Unauffällig, aber doch nicht so unauffällig, dass es Helen oder Will entgehen konnte, sah Anstruther auf seine Uhr.
|166| »Warum hat Mr Prince Ihrer Meinung nach auf dieser Vorgehensweise bestanden?«
»Sie fordern mich zu Spekulationen auf.«
»Ich bitte Sie um ihre abgewogene Meinung.«
Anstruther lächelte: ein leichtes Knittern der Haut an den Augen, ein Seitwärtszucken des Mundes.
»Mr Prince hat seine Gründe nicht im Einzelnen mit mir erörtert«, sagte er. »Und wenn er es getan hätte, wäre ich natürlich verpflichtet, sie für mich zu behalten.«
»Das heißt, Sie können uns nicht sagen, wovor er Angst hatte?«, fragte Will.
Anstruther lächelte wieder, und es war, als ob sich kaltes Licht im Raum verbreitete. »Ich bezweifle stark, dass Howard Prince überhaupt je vor etwas Angst hat.«
Auf der Straße schlug Helen ihren Kragen wieder hoch und wickelte sich den Schal um den Hals. »Ich vermute, es ist noch zu früh, um etwas zu trinken?«
»Vielleicht ein bisschen.«
»Einen Kaffee also?«
»Kaffee ist gut.«
Zehn Minuten später saßen sie in zwei Ledersesseln, die nicht ganz so bequem waren, wie sie aussahen. Helen hatte sich für einen doppelten Espresso, frisch gepressten Orangensaft und ein Blaubeermuffin entschieden.
»Lunch?«, fragte Will.
»Frühstück.«
Will verrührte einen halben Löffel Zucker in seinem Caffé Latte. »Ich weiß ja nicht, was wir eigentlich erfahren wollten, aber was immer es war …« Er zeigte seine leeren Hände.
»Ich weiß«, sagte Helen. »Trotzdem, manchmal ist es gut, wenn man seine Vorurteile bestätigt sieht.«
|167| »Und die wären?«
»Anwälte der Oberschicht aus Oxford oder Cambridge mit kristallklarer Aussprache und haarigen Handgelenken.« Sie schauderte. »Ich wette, er hat auch auf den Schultern und auf dem ganzen Rücken Haare.«
»Du fährst nicht darauf ab?«
Helen schüttelte sich. Will erinnerte sich, in einer von Lorraines Zeitschriften gelesen zu haben, dass es bei gewissen jungen Männern Trend war, sich alle überflüssigen Körperhaare entfernen zu lassen. Vermutlich gleichzeitig mit ihren Freundinnen, die vorzeitig geliftet und deren Brüste chirurgisch verkleinert oder vergrößert wurden. Eine Parallelwelt, dachte Will, und zwar eine, von der er gerne Abstand hielt.
»Glaubst du, es lohnt sich, das weiterzuverfolgen?«, fragte Helen.
»Ein persönliches Gespräch mit Prince, meinst du?«
»Kann nicht schaden.«
Will lächelte. »Der Mann, der vor nichts Angst hat.«
»So sagt man.«
Helen trank ihren Saft aus und brach den Muffin in mehrere Teile. Als sie Will davon anbot, lehnte er ab.
»Wir sollten uns nur keine allzu großen Hoffnungen machen.«
14
Lesley nahm einen frühen Zug von Nottingham nach London. Die Sonne stand tief über den Feldern und schien manchmal so hell durch das Fenster, dass Lesley sich die Hand vor
Weitere Kostenlose Bücher