Splitterndes Glas - Kriminalroman
Eine Gestalt mit Kapuze und verzerrtem Gesicht direkt vor der Kamera; ein undeutliches Bild von zuschlagenden Fäusten; eine Art Schläger oder eine Keule, die hoch in die Luft gehoben wurde, dann hinuntersauste auf eine Gestalt, die am Boden kauerte und die Arme schützend über den Kopf hob.
Das wenige, was vom Hintergrund zu sehen war, ließ darauf schließen: Ja, das war am Ufer des Flusses in der Nähe der Magdalene Street Bridge. Davon abgesehen waren die Bilder verschwommen und die Bildschärfe ganz unterschiedlich. Die Identifizierung einzelner Personen würde schwierig, fast unmöglich sein.
Will suchte die Bilder noch einmal nach einer Gestalt ab, die Helen sein könnte, aber sie war nirgends zu sehen. |272| Er vermutete, dass all diese Aufnahmen gemacht worden waren, bevor sie eingegriffen hatte.
Noch nicht einmal eine Stunde war vergangen, als eine zweite E-Mail vom selben Absender eintraf. Parsons war auf vier kurze Videosequenzen gestoßen, alle etwas mehr als eine Minute lang und mit Ton versehen, sodass man gedämpfte Sprechchöre und Rufe und Schreie hörte.
In einer Sequenz sah man einen Mann in Sweatshirt und Jeans – einen der verletzten Studenten, Will war sich ganz sicher –, wie er wegrannte, bis ihm ein Bein gestellt wurde und er ausgestreckt dalag; in einer anderen, die vermutlich gleich darauf gefilmt worden war, wurde dieselbe Person heftig getreten und krümmte sich am Boden, machte sich so klein wie möglich; das dritte Video war wenig mehr als ein Kaleidoskop aus undeutlicher Bewegung: Eine Menge von Körpern wogte durchs Bild. In dem vierten schwankte eine Gestalt nach vorn und stieß den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Kamera. Auch hier ließ die Bildschärfe sehr zu wünschen übrig, und wie Will mit Bedauern feststellte, war das Licht im Zentrum des Bildes zu grell und verschwamm an den Rändern hin zu Schwarz.
Die untere Hälfte des Gesichts dieser Person war von einem doppelt geschlungenen Schal verdeckt; eine dunkle, eng anliegende Mütze war tief in die Stirn gezogen. Man konnte gerade noch erkennen, dass die Gestalt weiß war und jung – um die zwanzig –, aber sonst nicht viel. Jedenfalls nicht bis kurz vor Ende der Sequenz, als der Schal verrutschte.
Will rief Rastricks Apparat an. »Hattest du schon Gelegenheit zu sehen, was Parsons rübergeschickt hat?«
»Bin gerade dabei.«
»Was hältst du davon?«, fragte Will.
»Magdalene Street, ganz eindeutig.«
|273| »Der Junge mit dem Schal, der den Stinkefinger zeigt, glaubst du, die Technik kann diese letzten paar Bilder herausnehmen? Sie irgendwie bearbeiten?«
»Ist den Versuch wert.«
»Sollen wir das selbst in die Hand nehmen oder es Parsons bei sich in Nottingham machen lassen?«
»Höchstwahrscheinlich ist er schon dabei. Warum rufst du nicht durch und fragst nach? In der Zwischenzeit rede ich mit unseren Leuten hier. Zeige ihnen, was wir haben.«
»Mach ich sofort«, sagte Will und las die Telefonnummer vom Bildschirm ab.
Parsons antwortete sofort. »Alles gut runtergeladen?«
»Kein Problem.«
»Wer immer das gedreht hat, war nicht gerade Steven Spielberg.«
»Das letzte Stück auf dem Video, dieser Jugendliche mit dem Schal …«
»So ein aufgeblasener Scheißkerl! Scheint das Ganze für einen Mordsspaß zu halten.«
»Glauben Sie, wir könnten eine Identifizierung bekommen?«
»Ich weiß nicht. Ich lasse die Bilder überprüfen, sobald ich kann, aber ich würde sagen, die Aussichten sind nicht gerade rosig.«
Will fluchte leise.
»Geben Sie mir auf jeden Fall Bescheid?«
»Natürlich.«
»Was ist mit der Seite, auf die das Zeugs gestellt wurde?«, fragte Will. »Wissen wir, wem sie gehört? Wer sie betreibt, irgendetwas in der Art?«
»Schwierig. Kleine Seiten wie diese gibt es überall im Netz. Schwer aufzuspüren. Werden den einen Tag eingerichtet und am nächsten geschlossen. Die Leute stellen |274| Sachen darauf, ohne eine erkennbare Spur zu hinterlassen. Man könnte eine Ewigkeit mit dem Versuch verbringen, ihnen auf den Grund zu gehen, und endet dann da, wo man angefangen hat. Aber ich setze unsere I T-Leute auf das Video an, und vielleicht stoßen die auf etwas. In dem Fall melde ich mich morgen bei Ihnen.«
Eine Stunde später traf die Nachricht ein, dass der Theologiestudent aus Honduras gestorben war.
Lorraine hatte Kerzen auf den Tisch gestellt und eine Flasche Wein geöffnet, australischen Shiraz. Während Will und Jake ihr Pokalendspiel im Flutlicht
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