Splitterndes Glas - Kriminalroman
Eine Schande!
Aber sie hatte genug geweint.
Draußen band sich Lesley den Schal fester um den Hals. Die Stufen, die vom Commerce Square nach unten führten, waren tückisch, denn sie waren mit Reif bedeckt, fast vereist, und mehr als einmal drohte sie auszurutschen.
Es war die zweite Meldung in den Lokalnachrichten: Auf einer Sitzung des Stadtrats hatten am Vortag die Pläne für den Bau eines Wohnkomplexes auf einem freien Gelände am Victoria Embankment grünes Licht erhalten. Ein ortsansässiges Konsortium unter Leitung von Prince Holdings hatte sie eingereicht. Der Komplex, der ein Freizeitzentrum und eine Vielzweck-Sporthalle umfasste, würde aus vierundvierzig Zwei- und Dreizimmerwohnungen und zehn Penthouse-Apartments in erstklassiger Lage mit Blick auf den Trent bestehen.
Lesley klickte die Website des Stadtrats an und fand den richtigen Link. In seinem Bericht gab der Referent für Stadtentwicklung einen Überblick über die Einwände gegen die Planung. Der Abgesandte des Bezirks hatte auf das |278| Heftigste gegen den Verlust einer Freifläche protestiert, die von einer nahen Grundschule und den Anwohnern regelmäßig für sportliche Aktivitäten und die Freizeit genutzt wurde. Er hatte außerdem vorgebracht, dass sich aufgrund der Bebauung das Verkehrsaufkommen erhöhen und das Embankment an der Trent Bridge zum Flaschenhals werden würde, insbesondere an Spieltagen der Fußballclubs, da die Stadien von Nottingham Forest und Notts County in unmittelbarer Nachbarschaft lagen. Auch das Anwohnerkomitee lehnte die Pläne ab, weil die Anzahl sowohl der Fußgänger als auch der Fahrzeuge drastisch steigen und Erholungsraum verloren gehen würde.
Der Referent akzeptierte diese Einwände zwar, führte jedoch aus, dass nur ein kleiner Prozentsatz des Geländes an das Projekt fallen würde und dass dieser Umstand kompensiert würde durch die besonderen Einrichtungen, die gemäß Sektion R7 des Flächennutzungsplans für Nottingham, beschlossen am 28. November 2005, als Teil des Vorhabens realisiert würden. Darüber hinaus hatte die Polizei von Nottinghamshire wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens keine Einwände gegen das Vorhaben erhoben.
Unter Berücksichtung all dieser Faktoren hatte das Komitee dem Vorhaben zugestimmt und eine Dreijahresfrist zu seiner Umsetzung festgelegt.
Warum auch nicht, dachte Lesley, als sie die Stadtratsseite in die Vergessenheit klickte. Was bedeutete schon ein bisschen freie Fläche? Ein Ort, wo Kinder Ball spielen konnten, Leute mit ihren Hunden spazieren gingen, Fahrrad fuhren, Drachen steigen ließen? Was war das im Vergleich zu einem weiteren Komplex mit exklusiven Wohnungen? Als hätte die Stadt nicht schon genug davon. Und diese hier würden mit ihrem Blick auf den Fluss zweifellos Spitzenpreise, Spitzenmieten erzielen.
|279| War sie vielleicht zu zynisch, fragte sich Lesley, wenn sie sich ein Geflecht von guten Beziehungen vorstellte, das durch Schmiergelder zusammengehalten wurde?
Sie wählte die Nummer von Prince Holdings und erkannte sofort den überheblichen Ton von Raymond James.
»Hallo«, sagte Lesley, »hier ist BBC Radio Nottingham. Wir möchten nachfragen, ob Sie vielleicht die Zustimmung des Stadtrats zu Ihren Plänen für das Embankment kommentieren würden?«
James räusperte sich dezent. »Natürlich sind wir auch im Namen der anderen Mitglieder des Konsortiums hocherfreut. Wir betrachten diese Entwicklung als zukunftsweisend. Darüber hinaus wird sie die Attraktivität der Stadt nur vergrößern.«
Wenn er ihre Stimme erkannt hatte, so gab er das nicht zu verstehen.
»Sie glauben also nicht«, sagte Lesley, »dass die vielen Einwände gegen das Projekt begründet sind?«
James hustete. »Ich fürchte, ich kann eine solche Frage unmöglich am Telefon diskutieren. Für heute Nachmittag ist eine Pressekonferenz angesetzt worden, und dort wird es Gelegenheit geben, Fragen zu stellen.«
Alan Pike war in seinem Büro, hatte die Ärmel aufgekrempelt, den Schlips abgelegt und trug einen verwunderten Ausdruck im Gesicht; die Dienstpläne für die kommenden Wochen lagen auf seinem Schreibtisch verstreut.
»Alan«, sagte Lesley, als sie ihren Kopf durch die Tür steckte. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
»Nein.«
»Diese Pressekonferenz von Prince Holdings, haben wir jemanden, der das abdeckt?«
»Jerry.«
»Lass mich an seiner Stelle hingehen.«
|280| »Nein.«
»Alan …«
»Nein. Auf gar keinen Fall.«
»Jerry hasst solche Sachen.
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