Splitterndes Glas - Kriminalroman
und einem herausfordernden, gefühlsarmen Blick.
Milne und Slater hatten noch einmal die Runde in Stephen Bryans Nachbarschaft gemacht. Ein paar Leute erinnerten sich undeutlich daran, dass ein Mitarbeiter eines Energieversorgers bei ihnen vorgesprochen hatte. Es lag also nahe, dass der Mann, mit dem Fenwick vor Bryans Haus zusammengestoßen war, in diesen Zusammenhang gehörte, da sowohl Eastern Electricity als auch British Gas bestätigten, dass Vertreter von ihnen zur fraglichen Zeit in der Gegend gewesen waren.
|269| Als er vom Laufen zurückkehrte, hämmerte Will mit dem Handballen gegen die Wand. Dunkel vor Schweiß klebte sein Trikot feuchtkalt an seinem Rücken. Sein linkes Knie tat weh, der Schmerz saß tief im Gelenk.
Lorraine kam gerade aus dem Badezimmer, als er die Treppe hinaufstieg; ihr Haar war zurückgebunden, sie war dabei, sich die Hände einzucremen. »Will, ich weiß, es ist kein guter Augenblick …«
»Nein, ist es nicht.«
»Diese Stelle, wir müssen darüber reden.«
»Nicht jetzt.«
»Will …«
»Nicht jetzt, verdammt noch mal!«
Er schob sich an ihr vorbei ins Badezimmer und ließ die Tür zuknallen. Im Schlafzimmer begann Susie zu weinen. Will schloss die Augen, ließ das Wasser laufen.
Als er zwanzig Minuten später angezogen nach unten kam, saß Lorraine mit einem Becher Tee am Tisch, das Baby an der Brust. Jake senkte schnell den Kopf, als sein Vater hereinkam, und schaufelte sich Cornflakes in den Mund.
»Es tut mir leid«, sagte Will. Er beugte sich zu Lorraine hinunter und küsste sie auf den Hals.
»Schon gut«, erwiderte sie und griff nach seiner Hand. »Ich versteh dich.« Mehr Verständnis, als er verdiente. Will wusste das.
Er küsste sie noch einmal auf den Kopf und sein Gesicht verweilte einen Augenblick beim Duft ihrer seidigen Haare.
»Dad«, sagte Jake unsicher. »Können wir nach der Schule Fußball spielen?«
»Auf jeden Fall.«
»Versprichst du es?«
»Sobald ich nach Hause komme.«
»Und wenn es schon dunkel ist?«
|270| »Wir schalten einfach alle Lichter an. Machen Flutlicht. Genau wie im Stadion von Highbury. Manchester United gegen Arsenal. Und jetzt iss auf, sei ein braver Junge.«
Lorraine folgte ihm zur Tür. »Diese Stelle«, sagte sie, »ich kann die Leute nicht mehr lange hinhalten.«
»Ich weiß. Wir reden heute Abend darüber, ja? Nach dem großen Spiel. Ich verspreche es.«
Ein Kuss und er war weg.
Im Radio kamen nichts als Konflikte: Aufstände in Sri Lanka, Aufstände in Nepal. Ein terroristischer Bombenangriff in einem ägyptischen Urlaubsort. Im Inland war der Gesundheitsminister auf einer Tagung der Krankenschwestern mit Buhrufen vom Podium vertrieben worden, und den stellvertretenden Premierminister hatte man mit dem Rüssel im Sextrog erwischt; in Kent war ein vierzehnjähriger Jugendlicher bei einem rassistischen Angriff erstochen worden.
Will schaltete auf einen anderen Sender um, nur um irgendein Mädchen mit unreifer Stimme zu hören, wie sie Hackfleisch aus ›Just One of Those Things‹ machte. Cole Porter, um Gottes willen! Wills Vater hatte Cole Porter geliebt und Jerome Kern und Gershwin. Seine LPs verstaubten jetzt unbeachtet auf dem Dachboden. Sinatra. Ella. Peggy Lee. ›The Folks Who Live on the Hill.‹
Alles Quatsch natürlich. Liebe und Ehe, die für Frank Sinatra zusammengehörten wie Pferd und Wagen. Altmodischer, romantischer Unsinn. Bei der nächsten Kreuzung wendete er den Wagen und fuhr zurück. Lorraine verließ gerade das Haus, Susie saß im Buggy, Jake kickte Kieselsteine auf die Straße.
»Hast du was vergessen?«, fragte Lorraine, als er ausstieg.
»Nein.«
|271| »Was ist denn …?«
»Die Stelle. Du solltest sie nehmen.«
»Aber du hast doch gesagt …«
»Ruf an, noch heute Morgen. Sag zu.«
»Bist du sicher?«
»Geh schon. Ich passe ein paar Minuten auf die Kinder auf. Mach es gleich.«
»Gut, ich tu’s.« Das Strahlen in ihren Augen war nicht zu übersehen.
Unter all den Spams, die ungefiltert ihren Weg auf Wills Bürocomputer gefunden hatten, gab es eine E-Mail , die Chris Parsons sowohl an Rastrick als auch an ihn geschickt hatte. Parsons hatte es schließlich geschafft, eine Seite mit Bildern aufzuspüren, die sehr wohl von dem Überfall in Cambridge stammen konnten.
Als es Will schließlich gelang, den Anhang zu öffnen, fand er an die zwei Dutzend Fotografien, in der Hauptsache kurze Dreier- oder Vierersequenzen, als wären sie in kurzer Abfolge gemacht worden.
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