Splitternest
Splittern und Steinen, sie rasten und rasselten und klimperten und klirrten, kreisten um die Frau, funkelten, leuchteten, schimmerten in allen Farben. Dann zerplatzten sie zu winzigen Scherben, schneidend und scharf, fräsend und ritzend und raspelnd und schnitzend … so prasselten sie auf den Troublinier nieder, der vergeblich versuchte, sich zum Rand des Kraters zu retten. Seine Hände und Arme waren gespickt mit unzähligen Steinsplittern; das Funkeln machte es unmöglich, die roten Padrilscherben von den herabsprühenden Blutstropfen zu unterscheiden. Er brüllte, rutschte auf den Steinen aus, prallte mit dem Kopf hart auf die Felsen, und die kreisenden Splitter erfassten ihn, trugen den Körper mit sich, scharrten gegen den Helm und den Brustpanzer, zermalmten und zermahlten sie, um sich den Weg zu seinem weichen Fleisch zu bahnen.
»Duck dick«, rief Banja und drückte Marisas Kopf herab. Die Splitter peitschten bis zum Rand des Kraters empor und prasselten gegen die Birkenstämme. Die drei anderen Gildenkrieger brüllten sich verzweifelte Warnungen zu. Auch sie schützten die Gesichter mit den Händen, aber der Scherbenhagel brach nicht ab, wurde immer stärker, trommelte gegen ihre Brustplatten. Sie glitten am Kraterrand aus, krallten sich im Gras fest, aber die Wurzeln hielten ihr Gewicht nicht, und so wurden auch sie in das Splitternest gerissen, das wie ein riesiger Mahlstrom nach ihren Körpern griff.
Marisa und Banja heulten. Steinsplitter klirrten auf sie nieder, bedeckten ihre Köpfe und Schultern; doch sie hatten Glück, denn die Birken und das Farngestrüpp schwächten den Steinregen ab. Eine größere Scherbe ritzte Marisa Ohr; sie merkte es erst, als sich Blut in ihrem Mundwinkel sammelte. Banja drückte sie fest an sich.
»Ruhig! Es hört ja schon auf!«
Die Schreie verebbten. Das Klirren im Krater wurde leiser. Die letzten Scherben fielen aus den Birken auf sie herab.
Banja schüttelte vorsichtig den Kopf. Funkelnde Splitter lösten sich aus ihrem Haar. Sie tastete nach Marisa, gab acht, sich nicht zu schneiden.
»Es ist ja schon vorbei.« Sie wischte Marisa das Blut von der Wange und sich selbst die Tränen aus dem Gesicht. Dann warf sie einen Blick durch die Farne.
Das Splitternest war zur Ruhe gekommen. Die Körper der Troublinier waren halb unter Steinscherben verschüttet, ihre Glieder verdreht. Die Hände krümmten sich wie abgebrochene Zweige, die aufgeschnittenen Handwurzeln glänzten nass und rot. In der Mitte des Kraters kniete noch immer die Frau. Sie war unversehrt; ihr blaues Kleid – es wirkte abgetragen und zu groß für ihren Körper – zeigte keine Spuren des Steinhagels. Noch immer hatte sie den Kopf gesenkt. Dunkelblonde Haare fielen über ihre Hände.
Nun blickte sie auf. Es war, als spürte sie die Anwesenheit der Mädchen.
Banja fühlte einen Stich in ihrem Herzen. Ungläubig starrte sie auf das Gesicht der Frau. Goldglimmende Augen, fremd, grausig. Aber das Gesicht …
Sie stieß einen Schrei aus.
Die Frau stand auf. Hob vorsichtig ihre Hand.
»Meine Mädchen!« Ihre Stimme klang heiser. »Meine Kätzchen … ich habe mich nach euch gesehnt.«
»Mama! Es ist Mama.« Banja konnte die Augen nicht abwenden. »Marisa, sieh doch!«
Sie sprang auf, zog ihre Schwester mit sich. Dann stolperten sie durch die Farne zum Krater. Steinsplitter knirschten unter ihren Schuhen.
Jundala Geneder streckte die Arme aus. Sie hatte ihre Augen wieder geschlossen, um zu verbergen, dass sie von der Sphäre gebrandmarkt waren. Ihre Töchter sollten nicht sehen, was die Südsegler ihr angetan hatten. Sie lauschte den Schritten, hörte, wie Marisa und Banja in das Splitternest hinabstiegen. Und als sie endlich bei ihr waren, als Banja sich an sie drängte und die kleinen Arme um sie schlang, zog Jundala ihre Mädchen zu sich heran.
»Endlich bin ich zurück … endlich bin ich hier, um euch zu holen.«
Verdreckte Zelte. Flüchtig gezimmerte Hütten aus Brettern, zerschlissenen Tierfellen und krummen Balken. Die Bewohner der kümmerlichen Behausungen saßen in kleinen Gruppen beisammen; einige löffelten Suppe aus einem Napf, andere erzählten sich mit gesenkten Stimmen die neuesten Gerüchte aus der Heimat. Die meisten von ihnen waren gut gekleidet; sie gaben sich alle Mühe, ihre Mäntel in Ordnung zu halten. Sie waren Flüchtlinge, aber die wenigsten von ihnen waren arm. Es waren vor allem die Wohlhabenden, die aus Troublinien geflohen waren, als die Kunde von Arocs
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