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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Levaste.«
    »Nicht heute«, unterbrach ihn der Ritter unwirsch. »Wenn Levaste mich sehen will, soll er sich bis morgen gedulden.«
    Etwas an diesem Kerl machte dem Priester Angst. Er bemerkte das Amulett am Hals des Fremden. Es war in das Fell des Mantels eingesunken, doch er konnte ein goldenes Funkeln sehen. »Was soll ich ihm ausrichten?«
    »Dass ich einen Weg kenne, wie wir den Goldéi entkommen können«, antwortete der Ritter der Neun Pforten. Dann wandte er sich ab und streifte das Amulett vom Hals.
    Er betrachtete es mit kaltem Blick. Es war eine goldene Mondsichel.
     
    Die Priester umringten sie; weiße Gewänder, verkniffene Gesichter, verblühte Rosen auf ihren Stirnen, aufgemalt mit Tusche. Ein kalter Wind fegte über die Terrasse. Das Mädchen fröstelte.
    »Vor Jahren suchte ich einmal Euren Tempel auf«, sagte sie leise. »Es ist lange her, ich war noch ein Kind. Meine Eltern waren nach Bolmar gereist. Da kam ich zu Euch, Levaste, um Euch Fragen zu stellen über den Gott, den Ihr verehrt; den Gott Tathril, für den mein Vater nur Spott übrig hatte. Er wollte nicht, dass ich zum Tempel gehe; er sagte immer, die Kirche sei ein Ort, an dem die Hoffnungen der Menschen in Münzen umgeprägt werden, die dann in vollen Priesterschatullen klimpern. Ich glaubte ihm nicht. Ich dachte, es müsste sich mehr hinter Tathril verbergen; hinter dem Gott, der Gharax erschaffen hat, der uns Menschen vor der Sphäre beschützt und zu Herrschern über die magischen Quellen macht.«
    Sinsala Geneder war für ihr Alter recht groß, ihre Figur bereits weiblich, obwohl sie erst vor Wochen das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte. Ihr Gesicht wirkte ernst und war beherrscht von aufmerksamen, blauen Augen. Die blonden Haare reichten bis über die Schultern; eine bronzene Spange in Form eines Krebses hielt die Locken zusammen. Ja, sie war längst mehr Frau als Kind, und dies unterstrich sie durch ihr hochgeschlossenes Kleid. Es hatte ihrer Mutter gehört und war ihr eigentlich zu groß. Doch es ließ sie erwachsen erscheinen. Nur die schlecht überschminkten Bläschen an ihrem Kinn und Hals verrieten, dass Sinsala zu jung war, um ihre Eltern zu vertreten; zu jung, um sich gegen die Bathaquar zu behaupten.
    Und doch wagte sie es, seit vielen Kalendern schon. Immer wieder suchte sie den Prior Levaste auf und rief sich ihm in Erinnerung. Sie war eine Geneder, Baniters älteste Tochter, und eine Geneder ließ sich nicht wegsperren. Auch wenn die Bathaquar alle Macht an sich gerissen hatte – Sinsala erhob ihre Stimme gegen die Ungerechtigkeiten der Priester.
    »Erinnert Ihr Euch, was Ihr mir gesagt habt, Levaste? Dass Tathril die Sphäre selbst sei und die Priester, wenn sie die Magie beschwören, ihm nahe sind und eins mit ihm werden. Das habe ich damals nicht verstanden. Ich fragte Euch, warum nicht jeder Mensch, der sich Tathril nahe fühlt, ein Zauberer sein kann …«
    »Jeder Mensch?« schnaubte der Angesprochene. »Welch ein Unsinn, Kind! Gefährlicher Unsinn! Nur Zauberer können Tathrils Größe erkennen.« Levaste, der Prior der ganatischen Tathril-Kirche, war ein älterer Mann, sein Gesicht aufgeschwemmt, die Haut fettig. Sein Priestergewand war ungewaschen und an etlichen Stellen zerschlissen. Die silbergrauen Haare standen in alle Richtungen ab, als wäre er gerade erst aus dem Bett aufgestanden. »Das einfache Volk wird niemals verstehen, was Tathril ist. Das Bild des Gottes ist verzerrt durch die Lügen Durta Slargins. Wir müssen es erneuern … und auch uns!«
    »Aber nicht durch Zwang, Prior. Seit einer Weile verwehrt Ihr den Menschen den Zutritt zum Tempel. Nur wer sich eine verblühte Rose auf die Stirn zeichnet, darf hinein. Dann wird er von den Priestern zur Ader gelassen. Ihr zwingt die armen Menschen, Blut für Tathril zu geben und es auf den Altären zu vergießen. Geschwächt verlassen sie den Tempel, ihre Wunden kaum verbunden. Viele sind krank geworden nach dieser Opferung, einige sogar gestorben.« Sinsala schlang das Tuch, das ihre Schultern vor dem Wind schützte, fester um den Leib. »Eure Rituale sind in Gehani verhaßt, so wie das Rosenzeichen. Ihr könnt die Menschen nicht zwingen, die Bathaquar zu verehren.«
    Sie blickte in den Burghof hinab. Dort eilten Bedienstete umher, Gardisten und einfache Priester. Sie alle gingen ihrem Tagewerk nach, ohne zur Terrasse aufzublicken. Vinnors Terrasse wurde sie genannt; sie umgab den Turm wie ein steifer Kragen. Keine Mauern zirkelten den Rand ab; sie

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