Splitternest
der Prior wäre, hätte ich euch in einen Sack gesteckt und ihn gegen die Wand geschlagen, so wie man es mit jungen Kätzchen macht. Außer der Ältesten … die taugt noch für etwas anderes.«
Seine Gefährten lachten. Orusits Gesicht lief dunkelrot an.
»Ihr habt genug geschändet und gemordet – vom ersten Tag an, als ihr über die Grenze nach Ganata gekommen seid!«
»Tu nicht so, als wären wir Eindringlinge.« Der Troublinier baute sich vor Orusit auf. »Der Kaiser hat uns herbefohlen. Wir sind zu eurem Schutz hier.«
»Dass ich nicht lache«, höhnte Orusit. »Aus Troublinien rennen euch die Leute fort. Wie viel mag dieser Schutz wert sein, wenn selbst dort Tausende auf ihn verzichten?«
»Was willst du damit andeuten, Hinkefuß?«
»Dass Troublinien der nächste reife Apfel ist, den sich die Goldéi pflücken werden! Oder wollt ihr behaupten, ihr hättet nichts von Arocs Untergang gehört? Die Stadt Imris soll dem Erdboden gleichgemacht worden sein, und die goldenen Schiffe haben Kurs auf eure geliebte Heimat genommen. Ein paar Tage noch, dann wird uns die Kunde von Tarubas Fall erreichen.«
Der Troublinier legte die Hand auf den Schwertgriff. »Hüte die Zunge, sonst richte ich dir deine verkrüppelten Beine mit dem Stahl! Troublinien geht niemals unter. Unsere Priester werden die Goldéi besiegen!«
»Tatsächlich? So wie die Candacarer und die Arphater?« Orusit schüttelte den Kopf. »Auch eure Priester werden nichts gegen diese Wesen ausrichten können, mögen sie noch so lange in der Burg die Köpfe zusammenstecken.«
»Das werden wir sehen! Ich für meinen Teil glaube ihnen. Sie sagen, dass ein Auserkorener kommt und uns rettet.«
»Auserkorene gibt es in diesen Tagen wie Krebse im Dumer. In der Stadt Thax hat man vor nicht langer Zeit viel von einem Auserkorenen geplappert … übrigens auch ein Priester, Nhordukael mit Namen. Was aus ihm geworden ist, weiß jedes Kind: Er hat Thax in Trümmer gelegt, seine eigene Heimatstadt. Da wollen wir nur hoffen, dass euer Auserkorener schön weit weg bleibt.«
Der Troublinier wollte antworten, doch nun mischte sich Banja in den Wortwechsel ein.
»Dürfen wir weiterspielen? Ich wollte Marisa das Splitternest zeigen. Wir waren so lange nicht mehr dort.«
Der Anführer der Troublinier runzelte die Stirn. »Splitternest? Was soll das sein?«
Orusit Geneder verdrehte die Augen, als hätte der Mann etwas besonders Dummes von sich gegeben. »Hast du noch nie vom Splitternest gehört? Jedes Kind in Ganata kennt es.« Er deutete flussaufwärts. »Siehst du den Hügel hinter der Flußbiegung? Dort oben liegt ein kleiner Krater. Als ich jung war, habe ich selbst oft darin gespielt.«
»Hast du dir dort deine Stutzen ruiniert?« höhnte der Troublinier. »Nun, wie auch immer – die Mädchen bleiben schön hier. Der Prior würde es nicht wollen, dass sie sich in Gefahr bringen.«
»Das Splitternest ist ganz harmlos«, rief Banja wütend. »Es ist nicht einmal einen Schritt tief.«
»Höchstens«, bestätigte Orusit. »Eine Felsmulde, in der ein paar bunte Steine liegen. Es heißt, dass dort einst ein verzauberter Vogel genistet habe, ehe die Quellen von Durta Slargin gezähmt wurden.«
Nun horchten die Gildenkrieger auf. Sie waren, wie die meisten ihrer Landsleute, immer für eine gute Geschichte zu begeistern. Nicht ohne Grund nannte man die Troublinier das Volk der Liedersänger und Märchenerzähler.
»Erzähl uns mehr, Hinkefuß«, forderte der Anführer.
Das ließ sich der alte Mann nicht zweimal sagen. »Es war ein Vogel, dessen Leib aus festem Stein bestand … geboren aus dem Felsen selbst. Obwohl er schwer war wie ein Klotz, flatterte er über Ganatas Dörfer hinweg und holte sich im Sturzflug manch unaufmerksames Kind, um es zu verschlingen. Kein Pfeil, keine Klinge konnte ihm etwas anhaben. Von dem Gefieder prallte jede Waffe ab. Die Menschen waren verzweifelt, sie konnten gegen das Untier nichts ausrichten.« Er senkte die Stimme. »Dann kam Durta Slargin nach Ganata. Als man ihm von dem Vogel erzählte, ließ er sich den Ort zeigen, an dem er nistete. Er fand auf dem Hügel sechs faustgroße Eier; eines aus Zinn und eines aus Kupfer, eines aus Eisen, eines aus Silber und eines aus Gold. Das sechste Ei war schwarz wie Kohle und kalt wie ein Hagelkorn. Durta Slargin stahl es aus dem Nest und verbarg es am Flussufer. Als der steinerne Vogel von seinem Beutezug zurückkehrte und den Raub bemerkte, klagte er jämmerlich, und statt Tränen
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