Splitternest
in der Wand, groß genug, um hindurchzuschlüpfen. Dahinter nachtschwarze Dunkelheit … Er presste sich durch den Spalt, hielt den Atem an. Lauschte.
Das Zischen kam näher. Worte in einer fremden Sprache, unverständlich, fauchend, bösartig. Dann sah er zwei Gestalten an seinem Versteck vorbeihuschen; ihre Körper weiß und unstet, wie Nebelstreifen an einem kühlen Morgen. Sie hasteten die Treppe hinab, halb stolpernd, halb schwebend. Ihre Füße berührten den Boden kaum.
Aelarian ahnte, wen sie suchten.
Er wartete, bis die Nebelwesen sich entfernt hatten. Dann kehrte er zur Treppe zurück, schlich die letzten Stufen hinab, spähte in die Tiefe.
Der Durchgang öffnete sich einem Talkessel. In ihm lag das Herz von Athyr’Tyran: steil abfallende Terrassen zwischen schroffen Felsnasen. Uralte Häuser schmiegten sich an die Wände des Kessels, die Dächer waren eingestürzt, die Fensteröffnungen blind. Eine marode Steintreppe führte steil in die Tiefe. Abgewetzte Sockel säumten die Stufen; auf ihnen hatten vermutlich einst Statuen gestanden. Am Grund des Talkessels lag eine gewaltige Ruine, die Mauerreste wohl zehn Schritt hoch. Ein steinerner Palast, zu Trümmern zerfallen … es war, als hätte sich unter ihm der Boden aufgetan und ihn in die Tiefe gezogen.
Die Nebelwesen waren nicht mehr zu sehen. Aelarian schlich zur Treppe. Ihr Zustand weckte kein großes Vertrauen, aber er wagte sich dennoch auf die oberste Stufe. Sie knirschte unter seinem Stiefel. Steinbröckchen lösten sich, fielen in die Tiefe.
»Da soll ich hinab? Cornbrunn würde mich zu Recht einen Narren schelten. Nun, was soll’s! Auf Fareghi bin ich eine glitschige Felswand hinaufgeklettert. Dann werde ich auch diese abgetretene Stiege nicht fürchten.«
Er ging weiter, die rechte Hand schützend an der Felswand. Viele Stufen waren zersprungen, und gelegentlich musste er große Lücken übersteigen. Doch die Treppe trug ihn, und so gelangte er im schwindenden Sonnenlicht zum Grund des Kessels hinab.
Aus der Nähe betrachtet, wirkte die Ruine des Palasts noch zerfallener. Der säulengestützte Eingang war halb verschüttet. Hinter dem Geröll konnte Aelarian einen Gang ausmachen.
»Ich hätte dem Schattenspieler die Laterne abnehmen sollen«, murmelte er. »Sie hätte mir einen besseren Dienst geleistet als die Scherenschnitte.«
Seufzend kletterte er über den Geröllhaufen ins Innere der Ruine.
Kalter Wind schlug ihm entgegen. Aelarian spitzte die Ohren. Hörte er aus der Ferne einen Gesang? Ja … eine Stimme, eine Melodie. War es Mondschlund, der ihn rief?
Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, der Luftzug um seine Beine ließ ihn frösteln. Dennoch folgte er dem Gang. Aber er kam nicht weit. Ein Licht glomm vor ihm auf, ein grünes Flackern. Erschrocken blieb er stehen.
Der Windhauch wurde stärker. Dann spürte Aelarian eine Berührung an seinem Arm. Er schrie auf, wollte sich fallen lassen, doch dann packten ihn zahlreiche Hände. Zogen ihn mit unbändiger Kraft fort.
Nun sah er sie: dürre Gestalten, nicht größer als Kinder, ihre Körper flirrend und schwirrend, flimmernde Luft über glühendem Sand. Ihre Hände waren eisig und krochen wie ein Luftstrom unter seine Kleider, rissen ihn durch den Gang, wirbelten ihn in die Luft, bis ihm Hören und Sehen verging.
Die Geister von Athyr’Tyran hatten ihn aufgespürt.
Sie brannte. Sie brannte lichterloh, ihr Herz in Flammen. Ihre Stimme gellte über die Felsen, und der Wind trug sie hinaus auf das Meer, zu den goldenen Schiffen, die auf den Wellen torkelten. Steine zerbarsten in der Hitze und schmolzen, wurden flüssig wie das Silber, das die Goldéi den Felsen entlockt hatten. Aus dem Spalt im Gestein schlugen Flammen empor. Das Silber spritzte in alle Richtungen, ein glühender Regen, der sich in die Körper der Goldéi fraß. Ihre Schreie verhallten ungehört; sie waren zu leise, um das Prasseln des Feuers zu durchdringen. Ihre Leiber zerfielen zu Nebelfetzen, die wie Rauch zum Himmel aufstiegen.
Ashnada aber brannte. Flammen sprangen von ihren Fingerspitzen auf die Felsen, stoben aus ihrem Mund, und die Hitze ließ ihre Haut verdorren. Sie spürte keinen Schmerz. Ihr Herz war ein glühender Kessel, in dem die Gefühle brodelten: der Wunsch, sich an der Welt zu rächen, die sie zu dem gemacht hatte, was sie war; der Wunsch, wieder zu morden, ihre Hand um eine Kehle zu schließen und zuzudrücken, fester, immer fester, bis alles Röcheln erstarb;
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